Dokumentation | 05.01.2009
Was wir in Richard Dawkins „The Genius of Charles Darwin“ über die Evolution erfahren. Teil 4: Gottlose Umtriebe
Im vierten Teil der Reihe geht es um die Rezeption der Dokumentation in den Medien. Richard Dawkins wird dafür angegriffen, dass er seinen Atheimus mit Darwins Theorie „vermischt“. Aber ist das wirklich eine so unheilige Allianz?
Dieser Tage hört man viel über die Vereinbarkeit der Evolutionstheorie mit dem christlichen Gott. Jüngst durfte man sich an einer zwanzigminütigen Predigt [2] bei „Abenteuer Wissen“ im ZDF erfreuen, wo versichert wurde, dass der persönliche Schöpfergott der Bibel wunderbar vereinbar sei mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Tatsächlich ist die Evolution natürlich nicht vereinbar mit einem Gott, der in ihre Prozesse eingreift.
Die Evolutionstheorie erklärt, wie sich das Leben auf natürliche Weise entwickelt hat, also ohne den Eingriff eines Schöpfers. Daher kommt schließlich das ganze Aufhebens um den „Kaplan des Teufels“, wie Gläubige Darwin zu seiner Zeit nannten. Das ist auch der Titel einer empfehlenswerten Dokumentation von Terra X, die ebenfalls im ZDF ausgestrahlt wurde (es gibt sie zudem online [3]). Wenn die Evolution kompatibel wäre mit dem christlichen Schöpfergott, warum sollte es dann überhaupt so etwas geben wie den Kreationismus?
Tu Buße oder brenne?
Typisch für viele Berichte über die Dokumentation war die Rezension der britischen Journalistin Lippy Purves mit dem Titel Richard Dawkins, der naive Professor [4]. Auf der einen Seite lobt sie seine Erkläuterungen zur Evolutionstheorie, auf der anderen Seite verurteilt sie Dawkins Atheismus. Sie vergleicht ihn mit einem missionierenden Prediger und behauptet folgendes über die Fossiliensuche im ersten Teil: „Im dem Moment, als eines von ihnen [den Schulkindern] einen Ammoniten am Strand gefunden hatte, verlangte Professor Dawkins sofortigen Atheimus“. Eine Pädagogik im Sinne von „Tu Buße oder brenne“ soll das gewesen sein.
Genau wie bei anderen Rezensenten haben ihre Beobachtungen nichts mit dem zu tun, was man tatsächlich in der Doku sehen kann. Offenbar hat Frau Purves nur erwartet, dass Dawkins so etwas sagen würde und es sich dann eingebildet. Oder es war, wie Dawkins in seiner Antwort [5] schreibt, eine glatte Lüge: „Es waren die Kreationismus-indoktrinierten Kinder selbst, die den Sprung von der Evolution zum Atheismus vollführten. Ich war sehr vorsichtig, diese Verbindung nicht in Anwesenheit der Kinder zu machen [...]“ Besonders erschreckend ist der Fakt, dass es sich bei diesen Kindern nicht um Schüler einer religiösen „Faith School“ handelte, sondern um Schüler des „Park High Technology College“ (!). Vielleicht ist es nicht Dawkins, um den man sich hier die größten Sorgen machen sollte.
AA Gill von der Times [6] ist ebenfalls der Meinung, dass es sich bei der Doku um „verwirrten, gottesdienstartigen Krach“ handle. Dass Gottesdienste verwirrt sind, mag wohl sein, aber Krach? Auf jeden Fall hätte sich Herr Gill den Naturfilmer David Attenborough für die Sendung gewünscht und hält jeden anderen im Vergleich für „Junk Food“. Einer derart subjektiven Einschätzung (wobei Attenborough und Dawkins sowieso befreundet sind) kann man mit Argumenten nicht beikommen.
Katzen du nicht züchten kannst
Den Gipfel der Absurdität erklimmt schließlich Nancy Banks-Smith vom Guardian [7]. So schreibt sie: „Dawkins ist ein Atheist mit feurigem Blick und ein Mann mit einer Mission.“ Diese „Mission“ soll darin bestehen, den Anteil der Evolutionstheorie in den Schullehrplänen zu erhöhen. Schreck lass nach! Wie auch bei den anderen Rezensenten stört der allzu lockere Ton. Prinzipiell kann man durchaus peppig und polemisch schreiben, aber doch bitte nur, wenn man weiß, wovon man redet! Ansonsten wirkt das Ganze äußerst peinlich.
Wie zum Beispiel Banks-Smith' Kommentar über den Tod von Darwins Lieblingstochter: „Er hatte eine Tochter, die sehr jung starb und das fand er total unerträglich. Sein Gesichtsausdruck, bevor er von Barthaaren übersät wurde, schaut angeschlagen aus.“ Weiter geht es bei ihr mit einer merkwürdigen Beobachtung über Katzen: „Tauben und Hunde haben sich vertrauenswürdig mit dem Menschen zusammengeworfen und sie können in bizarren Formen gezüchtet werden, wie es ihm gefällt. Katzen können das nicht. Sie sind immer unverwechselbar Katzen. Warum ist das so, Professor?“, fragt sie, als wüsste sie etwas, was Dawkins nicht weiß.
Katzen kann man also nicht züchten, das ist doch mal eine Erkenntnis. Natürlich kommt sie nicht auf die Idee, sich einmal die Frage zu stellen, warum Hauskatzen in der freien Natur vorkommen sollten? Oder die noch naheliegendere Frage, wie es dem Menschen gelingt, Rassekatzen [8] zu züchten, wenn der Mensch keine Katzen züchten kann?
Gehet hinaus und glaubet alles!
Verlassen wir das Trauerspiel und begeben uns zum nächsten: Andrew Billen [9] von der Times verteidigt die Menschen, die an die Sechs-Tage-Schöpfung glauben, mit folgenden Worten: „Vielleicht sind die Park Hill Schüler, wie viele von uns, in der Lage, widersprüchliche Ideen in ihrem Kopf zu beherbergen.“ Das soll nicht etwa ein Verzweiflungsschrei sein, sondern ein trotziges Argument zur Verteidigung der menschlichen Dummheit. Was wir doch alles können: Jeden Unsinn glauben, auch wenn er sich widerspricht.... faszinierend!
Dann macht Andrew Billen einen Verbesserungsvorschlag: „Was wir noch immer brauchen, ist auf jeden Fall eine sechstteilige Reihe über die Evolution, die Aufnahmen der wilden Tierwelt mit Computeranimationen verbindet.“ Wir brauchen also keine leicht verständlichen Erklärungen mit inspirierenden Bildern, sondern wir benötigend dringend mehr Oberflächlichkeit. Kein Wunder, dass er mit dem Vorschlag schließt, Steven Spielberg die Doku drehen zu lassen (man erinnere sich an das wissenschaftsdidaktische Meisterwerk Indiana Jones 4, das diverse esoterische „Theorien“ in die Öffentlichkeit trug, von denen Spielberg so begeistert ist).
Obskurerweise sagt Deborrah Or vom Independent [10] genau das Gleiche wie Andrew Billen: „Die Kinder hatten kein Problem damit, an mehr als eine Sache gleichzeitig zu glauben, selbst wenn krasse Widersprüche auftauchten. Für Dawkins ist eine solche Dualität inakzeptabel.“ Aber für alle normalen Menschen ist das gar kein Problem, oder wie? Weiter sagt Frau Or: „Dawkins ließ den Zuschauer mit dem Eindruck zurück, dass er keinen Grund habe, an Gott zu glauben, weil stattdessen Darwin sein Prophet war.“ Mal abgesehen davon, dass der Satz keinen Sinn ergibt (Ohne Gott keine Propheten), hat Dawkins im Gegenteil überdeutlich gemacht, dass es lächerlich wäre, alles zu glauben, was Darwin sagte, nur weil er Darwin war, und dass wir uns stattdessen die Belege selbst ansehen können. Trotzdem bezeichnet auch James Walton [11] vom Telegraph Dawkins als einen „religiösen Gläubigen“, der an Darwin als seinen „Meister“ glaube (wieso „Meister“?).
Die Genialität von Rowan Williams?
Brian Viner vom The Independent [12] kommt ebenso zu äußerst befremdlichen Einschätzungen. So meint er, Dawkins vertrete eine „Position absoluter Sicherheit“, was die Evolutionstheorie betrifft und der Erzbischof von Canterbury sei „nicht in der Lage gewesen, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, nicht einmal mit einem genialen Manöver in Bezug auf die Jungferngeburt.“ Erzbischof Rowan Williams sagte: „Ich denke, es gibt in bestimmten Situationen eine Öffnung in der Welt, welche die zugrundeliegende göttliche Handlung hineinlässt. [...] Dies ist aber keine Aufhebung der Naturgesetze.“ Man kann doch nur zu der Einschätzung gelangen, dass der Erzbischof Wunder nur nicht als solche bezeichnet und er den Begriff der „Naturgesetze“ so weit dehnt, dass er Wunder einfach mit einschließt – wodurch der Begriff keinerlei Bedeutung mehr hat. „Genial“ ist beileibe etwas anderes. Das ist einfach nur ein billiges Täuschungsmanöver, um ein konfuses Weltbild vor Kritik zu schützen.
Die Evolution – das Werk eines bösen Gottes?
Kathryn Flett vom Observer [13]bewundert zunächst einmal ausführlich Dawkins Privatbibliothek und zeigt sich enttäuscht von der langweiligen Inneneinrichtung von Craig Venters Genlabor. Danach philosophiert sie über die Vereinbarkeit von Gott und Evolution: „Was ist, wenn die Evolution Teil des bösartiges Masterplans einer fiesen Gottheit ist? Oder verpasse ich hier was?“ Da hat sie nicht ganz unrecht: Es wäre denkbar, dass der Gott des Chaos – weniger ein rein bösartiger Gott, es gibt aus menschlicher Sicht auch Gutes und Schönes in der Natur –, den evolutionären Prozess in die Wege leitete. Jedenfalls, wenn man seine Betrachtungen rein auf die Evolutionstheorie reduziert.
Aus breiterer kritisch-rationaler Perspektive müsste man anmerken, dass es auch für den Gott des Chaos (die alten Griechen stellten sich einen solchen vor) keine Belege gibt. Sicherlich gibt es Belege für das Chaos, aber nicht für eine Intelligenz, die es erschaffen hat. Zudem glaubt heutzutage kein Mensch mehr an den Gott des Chaos, obwohl das wahrscheinlich sogar das vernünftigste Gottesbild ist, wenn man denn unbedingt eines braucht.
Dawkins ist super
Zu den seltenen Freunden der Doku gehört Hermione Eyre vom Independent [14]. Im Gegensatz zu vielen anderen Rezensenten stellt sie sogar fest: „Dawkins sieht man an, dass er völlig frei ist von jeder Eitelkeit.“ Auch die National Secular Society erklärt Warum Dawkins recht hat und seine Gegner unrecht [15]. In dem Artikel heißt es: „[...] seine Kritiker haben nur gesehen, was sie sehen wollten – und oftmals war das nicht, was auf dem Bildschirm erschien.“ Schließlich greift Sue Blackmore [16] Dawkins unter die Arme, wenn sie schreibt, dass Lehrkräfte dazu verpflichtet sind, die Evolutionstheorie begreifbar zu machen. „Sie sollten niemals aus Furcht davon ablassen, die religiösen Überzeugungen ihrer Schüler herauszufordern und ihren Geist zu öffnen, weil ein Verständnis der Welt durch die Wissenschaft unvermeidbar genau dies tut.“
Schlusswort
Zunächst einmal lässt sich anmerken, dass die großen britischen Zeitungen offenbar zu viel Geld haben, wenn sie Journalisten bezahlen, die nicht recherchieren, die keine Ahnung haben, die trotzdem mit gewaltiger Arroganz auftreten und die sich sogar auf die Seite von Kreationisten stellen, solange sie damit nur einen Atheisten wie Dawkins ärgern können.
Das übrige Schlusswort überlassen wir der (englischen) National Secular Society [15]:
„Ich weiß nicht, was es ist, das vernünftige Menschen dazu treibt, sich mit den Schwindlern des Kreationismus und des Intelligenten Designs zusammenzutun, sobald Dawkins Name erwähnt wird. Vielleicht ist es ein Restbestand des Gefühls, sie müssten der Religion gegenüber respektvoll sein, selbst wenn sie Absurditäten behauptet. Sie glauben, dass sie nicht angegriffen werden sollte, weil nette Menschen genauso an sie glauben wie mörderische Verrückte.
Aber, wie Dawkins betont – die netten Menschen, die sich für lächerliche Dinge einschreiben, öffnen einfach den Spinnern die Tür, die uns in die Luft sprengen, oder die uns ihre Fantasien per Gesetz aufzwingen wollen.
Der Kreationismus ist blöde und das ist alles, was dazu zu sagen ist. Es gibt keine Gleichwertigkeit mit der Wissenschaft und wir müssen der Behauptung widersprechen, dass dem so wäre. Der Kreationismus gehört zu den anderen Märchen und Horrorgeschichten, aus denen der Religionsunterricht besteht; und Religionsunterricht gehört in die Kirche, nicht in die Schule.“
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-153-166.jpg
[2] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/646098?inPopup=true#
[3] http://terra-x.zdf.de/ZDFde/inhalt/21/0,1872,7492917,00.html
[4] http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/libby_purves/article4474112.ece
[5] http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/letters/article4485275.ece
[6] http://entertainment.timesonline.co.uk/tol/arts_and_entertainment/tv_and_radio/article4473274.ece
[7] http://www.guardian.co.uk/media/2008/aug/05/television.television
[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Katzenrassen
[9] http://entertainment.timesonline.co.uk/tol/arts_and_entertainment/tv_and_radio/article4459757.ece
[10] http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/tv/reviews/last-nights-tv-the-genius-of-charles-darwin-channel-4-im-kylies-body-double-bbc-3-885139.html
[11] http://www.telegraph.co.uk/culture/tvandradio/3557907/Last-night-on-television-The-Genius-of-Charles-Darwin-%28Channel-4%29.html
[12] http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/film-and-tv/tv-radio-reviews/last-nights-tv-the-genius-of-charles-darwin-channel-4brfirst-cut-being-maxine-carr--more4-brthe-hairy-bakers-bbc2-901750.html
[13] http://www.guardian.co.uk/culture/2008/aug/10/television.television
[14] http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/tv/reviews/olympic-opening-ceremony-bbc1brthe-genius-of-charles-darwin-channel-4brtravellers-century-bbc4-889552.html
[15] http://www.secularism.org.uk/whydawkinsisrightandhiscriticsar.html
[16] http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2008/sep/04/religion.evolution