Dokumentation | 29.12.2008
Was wir in Richard Dawkins „The Genius of Charles Darwin“ über die Evolution erfahren. Teil 3: Gott schlägt zurück
Im dritten Teil der Dokumentation geht es um die Gegner der Evolutionstheorie. Woher kommen sie, wie gehen sie vor und was wollen sie erreichen? Dawkins nennt Gegenargumente und erklärt, wie es sich mit der Evolution leben lässt.
Heute sind Darwins Gegner lauter zu hören als jemals zuvor. Sie leugnen Fakten auf immer anspruchsvollere Weise, ihre Strategien werden undurchsichtiger, immer mehr Menschen fallen auf sie hinein.
Auch Richard Dawkins suchte im Kindesalter bei Gott nach einer Erklärung, doch das änderte sich, als er Darwins „Ursprung der Arten“ las. Wenn die Wissenschaft die Entwicklung des Lebens erklären kann, wie viel mehr würde sie eines Tages, oder schon heute, erklären können? Dawkins verabschiedete sich von der Religion und wandte sich für immer der Wissenschaft zu.
Mit der Bibel gegen Darwin
Ganz anders der australische Kreationist John MacKay. Er wurde, jedenfalls sagt er das, allmählich durch rationale Argumente von der wörtlichen Wahrheit des biblischen Schöpfungsmythos überzeugt. MacKay meint, dass man die Evolution nicht beobachten könne, man müsse also an sie glauben, genau wie an die Schöpfung. Dawkins kontert, dass wir Napoleon ebenso wenig beobachten können und trotzdem gehen wir davon aus, dass er gelebt hat. Auch Atome können wir nicht direkt sehen und halten ihre Existenz trotzdem für erwiesen. Der Unterschied besteht darin, dass es für Napoleon, Atome und die Evolution haufenweise Belege gibt und für die Schöpfung gibt es keine.
In den USA findet diese Debatte in Form von „Intelligent Design gegen Evolution“ statt. Die Vertreter des ID fordern eine so genannte „gleichberechtigte Debatte“ (bekannt als „Teach the Controversy“-Strategie des Discovery Insitute) zwischen ihnen und Evolutionsbiologen, auch im Biologieunterricht sollen die Schüler selbst die Argumente auswerten und eine „eigene Entscheidung“ treffen. Das Problem besteht darin, dass Astrologen, Handleser und Scientologen mit dieser Logik dasselbe Recht einfordern könnten, Schüler mit ihren irrationalen Vorstellungen zu belästigen. All dies ginge zu Lasten eines qualitativen Unterrichts. Zudem besteht ein Unterschied darin, ob die Lehrer den Kreationismus als gesellschaftliches Phänomen zur Diskussion stellen, oder ob sie dazu verpflichtet sind, ihn als wissenschaftliche Theorie zu lehren. Und den ID-Vertretern geht es natürlich um letztes.
Für seine Verteidigung des Atheismus und der Evolutionstheorie bekommt Dawkins regelmäßig Hassbriefe und -mails. Er liest einige davon vor. Gläubige Christen (von Muslimen bekommt er so gut wie nie Post) wünschen seinen Tod. Einer schreibt, er hoffe, dass Dawkins „eines Tages von einem Kirchen-Van überfahren wird“, was den Zoologen zum Schmunzeln bringt. Dawkins meint, dass er diese Leute bemitleide.
Die Belege für die Evolution
Das Discovery Intitute, der wichtigste „ID-Think-Tank“, behauptet immer wieder, auch bei Dawkins Besuch in der Einrichtung, dass es keine Zwischenformen gäbe, also zum Beispiel kein Tier, das halb Dinosaurier und halb Vogel ist. Gerade diese Zwischenform wurde aber sogar noch zu Darwins Lebzeiten entdeckt und nennt sich „Archaeopteryx“. Von dieser abgesehen gibt es zahlreiche weitere Zwischenformen, zum Beispiel den Panderichthys, ein Lebewesen zwischen Fisch und Amphibium, oder den Sahelanthropus, der älteste gemeinsame Urahn zwischen Mensch und Affe.
Es gibt Millionen Fossilien, welche die Evolution stützen. Sie wurden datiert und dokumentiert in Museen überall auf der Welt. In jüngster Zeit haben wir herausgefunden, dass die DNA der Lebewesen ihre Beziehungen zueinander, wie wir sie den Fossilien zufolge annehmen, bestätigt.
Das Leben taugt nichts
Dawkins trifft in einer britischen Grammar School (eine Art Gymnasium) auf Nick Cowan. Er unterrichtet Chemie und seinen Glauben, dass die Erde 6000 Jahre alt ist. Sein Argument lautet, dass Gott es uns schließlich gesagt hat und er ist unfehlbar und muss es demnach wissen. Für Dawkins ist das so, als würde er sagen, dass Darwin unfehlbar war und man deshalb alles glauben müsse, was er sagte. Aber das muss man nicht, sondern man kann sich die Belege ansehen.
Und die Belege zeigen deutlich, dass die Natur voller Unvollkommenheiten steckt. Der Psychologe Randolph Nesse nennt als Beispiel das menschliche Auge, also gerade das Organ, das Kreationisten zufolge zu perfekt sei, als dass es durch die Evolution hätte entstehen können. Doch das Auge ist überaus anfällig für optische Illusionen, was er anhand des Blinden Flecks demonstriert. Am Blinden Fleck setzt der Sehnerv an und die Netzhaut wird unterbrochen, darum können wir an dieser Stelle nichts sehen. Normalerweise wird der fehlende Bereich durch Berechnungen des Gehirns korrigiert, aber man kann ihn durch einen Trick sichtbar machen.
Einige Dinge sind einfach wahr. Sie sind keine Frage der persönlichen Meinung oder des Geschmacks. Die Belege zeigen, dass die Evolution wahr ist. Darwin fand heraus, dass sich das Leben ohne Eingriffe eines Schöpfers entwickelt hat. Er schrieb: „Kreationisten fürchten die Evolution, wie ein Affe eine Schlange fürchtet.“
Der Virus des Relativismus
Nun trifft sich Dawkins mit den Lehrern der naturwissenschaftlichen Fächer von der Schule der Kinder, die er in Teil eins zum Ausflug an den Strand zum Fossilien-Suchen mitgenommen hatte. Einer von ihnen, Chris Scott, sagt, dass die religiösen Geschichten ein wichtiger Teil des Lebens der Kinder sind und dass er nur an die Evolution glaubt, weil er ein Wissenschaftler ist. „Nein, nicht weil Sie ein Wissenschaftler sind! Die Belege sind da und deren Belege sind nicht da“, meint Dawkins. Für Joe Pitch, einen anderen Lehrer, gibt es für die Kreationisten Belege für ihre Religion. "Das sind keine Belege!", wendet Dawkins ein. Die Lehrer finden, dass sie nicht dafür da sind, den Kindern die Religion ihrer Familien auszureden. „Warum nicht?“, fragt Dawkins. Die Belege zeigen eindeutig, dass die Evolution korrekt ist und sie zeigen nicht für den einen das eine und für den anderen etwas anderes.
Dem Relativismus, einer postmodernistischen Philosophie, zufolge, sind verschiedene Wahrheiten gleichermaßen wahr, selbst wenn sie sich widersprechen. Diese Haltung wird assoziiert mit Toleranz und mit Multikulturalismus. „Aber“, wie Dawkins sagt, „die Schwerkraft ist nicht nur eine Version der Wahrheit, sie ist die Wahrheit, und wer auch immer das bezweifelt, ist dazu eingeladen, aus einem zehn Fuß hohen Fenster zu springen.“
Der Relativismus stammt ursprünglich aus der christlichen Theologie. Die anglikanische Kirche akzeptierte die Evolution zu Darwins Zeiten als eine Wahrheit innerhalb einer größeren Wahrheit, obwohl sie der „größeren Wahrheit“ deutlich widerspricht.
Aufgeweichter Glaube
Dawkins spricht nun mit Rowan Williams, dem Erzbischof von Canterbury und somit wichtigster Geistlicher der anglikanischen Kirche. Ihm zufolge ist Gott der Schöpfer des evolutionären Prozesses, er greift aber nicht in ihn ein. Wenn das so ist, meint Dawkins, warum glaubt Williams dann an die biblischen Wunder, an „billige Taschenspielertricks“, die schließlich einen Eingriff Gottes in die natürliche Welt darstellen? Williams meint, dass die Wunder der Bibel keine Aufhebung der Naturgesetze sind, sondern „die Natur, die sich ihren eigenen Tiefen öffnet“. Dawkins genügt diese Antwort nicht: „Entweder die Jungferngeburt fand wirklich statt oder nicht, Sie kommen da nicht heraus, indem Sie die Poesie bemühen.“
Moderate Gläubige, so Dawkins, öffnen Kreationisten die Tür, indem sie sagen, dass es eine Tugend sei, etwas auf Basis des Glaubens für wahr zu halten und nicht auf der Basis von Belegen. Das Christentum reagiert auf Darwin mittels „leugnen, angreifen, absorbieren“. Die Grausamkeit der Evolution mag ja schockierend sein, aber die Evolution hat trotzdem stattgefunden. Es ist besser, die Realität zu akzeptieren, als sie zu vermeiden und eine Lüge zu leben. Darwin hatte jedenfalls irgendwann genug davon. Er nannte das Christentum „eine verdammenswerte Lehre“, weil seine atheistischen Freunde und Familienmitglieder dem christlichen Glauben zufolge in der Hölle landen würden. „Ich kann in der Tat kaum verstehen, wie irgendjemand wünschen sollte, das Christentum sei wahr.“
Die Freuden der Evolution
„Die elegante Erklärung zu begreifen, wie sich die Arten entwickelt haben, ist eine Freude“, meint Dawkins. Ist sie den Preis der Illusion ewigen Lebens wert?
Charles Darwin sagte, er habe „nicht die geringste Angst zu sterben“. Dawkins besucht Daniel Dennett, der genauso alt ist wie er, den er aber trotzdem für seinen „intellektuellen großen Bruder“ hält. Dan Dennett war dem Tod vor ein paar Jahren sehr nahe. Viele seiner Freunde beteten für ihn. „Danke, aber habt ihr auch ein Lamm geopfert?“, meinte Dennett zu ihnen. „Die Seele besteht aus blinden, kleinen Robotern, den Nervenzellen“, erklärt der Philosoph. „Man könnte sagen, wir sind das Nervensystem des Planeten.“
„Wie Darwin finde ich die Realität aufregend“, sagt Dawkins.
Vorschau
Am nächsten Montag gehen wir auf die Reaktionen ein, welche diese Dokumentation provoziert hat. Missbraucht Dawkins die Wissenschaft für seine „atheistische Propaganda“, oder ist der Atheismus die logische Schlussfolgerung aus den Erkenntnissen der Wissenschaft?
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-145-144.jpg
[2] http://video.google.com/videoplay?docid=-828270247063909484