Dokumentation | 22.12.2008
Was wir in Richard Dawkins "The Genius of Charles Darwin" über die Evolution erfahren. Teil 2: Der Fünfte Affe
Im zweiten Teil der Dokumentation geht Richard Dawkins auf die Frage ein, was es für den Menschen bedeutet, ein Produkt der Evolution zu sein. Sollen wir unser Leben nach dem Darwinismus ausrichten? Sind wir egoistisch oder selbstlos?
Der Mensch, ein Affe
Menschen sind Tiere. Wir sind der fünfte Affe, wir sind nicht die Schöpfung Gottes. Richard Dawkins konfrontiert seine Zuschauer ohne Vorwarnung mit den Fakten, doch was bedeutet das für uns? Sollten wir unsere Gesellschaft am Darwinismus ausrichten? Nein, sagt Dawkins. Die Evolutionstheorie beschreibt natürliche Vorgänge, sie erklärt die Entwicklung des Lebens, aber sie ist keine Anleitung für menschliches Verhalten. Trotzdem bleibt die sie nicht ohne weltanschauliche Folgen.
Selbst jene, welche die Evolutionstheorie schon akzeptiert haben, wird es überraschen, dass Menschen mit Schimpansen näher verwandt sind als Pferde mit Eseln – und diese Arten erzeugen miteinander Nachkommen! Viele Menschen haben große Probleme damit, unsere Verwandtschaft mit Affen überhaupt zu akzeptieren.
Einer von ihnen ist Bonifes Adoyo, ein christlicher Priester, dem Richard Dawkins in Kenia begegnet. Er protestiert zusammen mit anderen Kreationisten gegen eine Ausstellung über unsere Vorfahren. Aus dem Gespräch geht hervor, dass Adoyo die Evolutiontheorie, die er so vehement ablehnt, nicht einmal ansatzweise versteht. Er glaubt zum Beispiel, dass die Evolution einem großen Ziel entgegensteuern würde. Doch, wie Dawkins erklärt, ist die Evolution ein ungerichteter Prozess ohne Ziele und ohne Moral. Lebewesen beuten einander zu ihrem eigenen Vorteil aus.
Leben nach den Regeln der Evolution?
Ist das eine Rechtfertigung für unbeschränkten Kapitalismus oder für Sozialdarwinismus? Als Beispiel für jemanden, der das glaubt, nennt Dawkins den Erdölgiganten Enron, der jedes Jahr 15% seiner „schwächsten“, also in diesem Fall unproduktivsten, Mitarbeiter entließ. Dieses Vorgehen entpuppte sich als absolutes Desaster – nur die Rücksichtslosesten und Selbstsüchtigsten blieben am Ende übrig und ruinierten das Unternehmen. Das Gemeinwohl hatte niemand mehr im Auge. Dawkins unterhält sich mit Eric Beinhocker, einem Wirtschaftswissenschaftler, über das Thema. Beinhocker betont, dass es stark vom Zufall abhängt, ob ein Unternehmer erfolgreich ist. Der „Stärkste“ kann sich keineswegs auf seinen Erfolg verlassen, zudem ist „Stärke“ auch nicht die wichtigste Qualifikation eines erfolgreichen Unternehmers.
Nun setzt sich Dawkins mit der Eugenik auseinander, die hier im Sinne der Nazis als Züchtung von Menschen verstanden wird. Eugenik hat mit der Evolutionstheorie nichts zu tun, sondern basiert auf der Idee der Züchtung, die es schon lange vor Darwin gab (wir züchten Hunde schon seit mehreren tausend Jahren!). Was Darwin herausgefunden hat, ist etwas ganz anderes, nämlich dass die Natur ebenfalls wie ein Züchter handelt, wenn auch, ohne dabei ein Ziel im Auge zu haben. Mit der Evolutionstheorie kann die Eugenik weder gerechtfertigt werden, noch bildet sie überhaupt ihre Grundlage.
Der Mensch als Teil der Natur
Inwiefern beeinflusst uns die Evolution dann? Um das herauszufinden, spricht Dawkins mit dem Psychologen Steven Pinker. Er erklärt, dass das menschliche Gehirn ein Produkt der Evolution ist und dass unser Verhalten seine Wurzeln in der menschlichen Natur hat. Auch die Moral hat eine evolutionäre Grundlage – sie ermöglicht nicht nur Gewalt und Egoismus, sondern auch Vertrauen, Einfühlungsvermögen und Dankbarkeit.
Wie bei der Moral haben viele Menschen auch im Falle der sexuellen Selektion Probleme damit, sie im Kontext des brutalen Überlebenskampfes zu verstehen, wie ihn die Evolutionstheorie beschreibt. Ein Pfau kann zum Beispiel mit Hilfe seines an sich hinderlichen Federkleides Partner gewinnen, mit deren Hilfe er seine Gene weitergeben kann. Als Beispiel für sexuelle Selektion beim Menschen präsentiert Dawkins einen halbnackten, von Frauen umringten Cowboy, der auf einer New Yorker Straßenkreuzung steht und Gitarre spielt. Was es mit der Moral als Evolutionsprodukt auf sich hat, dazu später mehr.
Menschenzucht
In der Tat ist eine Form selektiver Vermehrung in unserer Gesellschaft gang und gäbe: Künstliche Befruchtung. Technisch gesehen handelt es sich dabei um eine Variante der Eugenik: Frauen suchen sich einen Samenspender anhand bestimmter, von ihnen erwünschter Merkmale aus.
Dawkins besucht eine Samenbank in den USA und eine Gruppe Frauen, die sich für künstliche Befruchtung entschieden haben. Was wird ihr Auswahlkritierium für den Spender sein? Sind die rücksichtslosesten Machos, die „Stärksten“, bei den Frauen am beliebtesten? Im Gegenteil, berichtet der Leiter der Samenbank: Der „netteste Kerl“ (die Frauen bekommen einen ausführlichen Bewertungsbogen, die der Spender ausgefüllt hat, in die Hand gedrückt) wird mit Abstand am häufigsten von den Frauen als biologischer Vater ihrer Kinder ausgewählt. „Nice Guys Finish First“, hieß bereits eine frühere Dokumentation von Richard Dawkins aus den 1980ern. Die Netten werden die Ersten sein. Aber warum setzen wir überhaupt Nachkommen in die Welt?
Die Genmaschine
Menschen sind Genbehälter, Überlebensmaschinen für potenziell unsterbliche Gene. Das Überleben des Bestangepassten bezieht sich auf das Überleben von Genen. Aus ihrem Eigeninteresse entsteht die Selbstlosigkeit ihrer Behälter. Zum Beispiel kann das in Form von reziprokem Altruismus geschehen, wenn Menschen sich gegenseitig helfen. Ich kraule dir den Rücken, wenn du mir meinen Rücken kraulst.
Die „extremste“ Form des Altruismus, die Selbstaufopferung, um das Leben anderer zu retten, kommt bei Tieren nur vor, wenn sie genetisch eng verwandte Individuen auf diese Weise retten können. Dadurch bewahren sie nämlich ihre eigenen Gene. Zum Beispiel rettet eine Entenmutter 100% ihrer Gene, wenn sie zwei ihrer Küken (je 50% ihrer Gene) vor dem Tod bewahrt, indem sie sich einem Raubtier opfert und die Küken auf diese Weise entkommen können. Wenn sie drei ihrer Küken retten kann, ist es recht wahrscheinlich, dass sie sich opfern wird, wenn es die Situation erfordert.
Die einmalige Selbstlosigkeit des Menschen
Doch bei Menschen kommt es, wenn auch selten, durchaus vor, dass sie sich für völlig Fremde aufopfern, die nur sehr wenige der eigenen Gene in sich tragen. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass der Mensch die überwiegende Zeit seiner Existenz in kleinen Gruppen lebte, bei denen er mit jedem Mitglied eng verwandt war. Langsam hat sich die Gesellschaft gewandelt und nun leben wir mit genetisch Fremden zusammen, doch das klassische Altruismus-Programm beeinflusst noch immer unser Verhalten.
Der Altruismus erfährt also eine Fehlzündung. Das ist der Grund, warum wir uns überhaupt für Fremde aufopfern können oder warum wir ihnen einen Gefallen tun, ohne eine Gegenleistung erwarten zu können (das ist der biologische, aber nicht der psychologische Grund!)
Dawkins spricht nun mit dem Primatologen Frans de Waal, der das anders sieht. Für ihn sind Primaten und Menschen „wirklich“ altruistisch, ohne dass es ihren Genen tatsächlich oder scheinbar nutzen würde. Für Dawkins ist das aber keine Erklärung, sondern einfach eine romantische Verklärung, die den Fakten aus dem Weg geht, wo sie nicht passen.
Ausbruch aus der darwinistischen Tyrannei
Dawkins stellt fest, dass Menschen der natürlichen Selektion entkommen sind. Wie der Altruismus noch funktioniert, obwohl wir nicht mehr in genetisch eng verwandten Kleingruppen leben, ist auch das sexuelle Verlangen noch wirksam, obwohl wir verhüten. Wir können zu wildfremden Menschen nett sein, obwohl sie nur wenige Gene mit uns teilen. Mit Hilfe unserer großen Gehirne sind wir also in der Lage, die Fehlzündung des Altruismus für unsere eigenen Zwecke zu gebrauchen und die Welt humaner zu machen.
Die Evolution kennt kein Ziel, es gibt keinen höheren Plan, keine große Erzählung, in der wir die Hauptrolle spielen. Genau dieser Fakt ist es, der uns die Möglichkeit gibt, unseren Sinn selbst zu erschaffen. Wir können als einziges Lebewesen auf diesem Planeten die natürliche Selektion verstehen, um ihrer Tyrannei zu entkommen.
Vorschau
Am nächsten Montag begleiten wir Richard Dawkins bei seinen Auseinandersetzungen mit den Gegnern der Evolutionstheorie. Wie sich zeigen wird, sind das nicht nur Kreationisten, sondern auch Kultur- und Wahrheitsrelativisten, für die Wissenschaft nicht besser ist als Religion.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-142-122.jpg
[2] http://video.google.com/videoplay?docid=4491999408234054262