Forschung | 13.07.2010
Wie erwartet hat der Beitrag "Kinder machen unglücklich [2]" in der aktuellen Presseschau Unverständnis und wütende Reaktionen ausgelöst. Angeblich sei er zu verallgemeinernd, die Wissenschaft sei keine, oder die genannten Studien sollen nicht einmal existieren. Aber Leugnen hilft nicht weiter.
Zunächst einmal basieren die meisten (durchaus existenten) Studien darauf, dass Eltern und im Vergleich Nicht-Eltern einfach über ihre Glücklichkeit systematisch und über Jahre hinweg befragt wurden. Eine andere Methode war die systematische und freiwillige Überwachung von Paaren mit Kindern und die Beurteilung ihrer Glücklichkeit durch Forscher (die eher das Gegenteil erwartet haben), wie in einer Studie des "UCLA’s Center on Everyday Lives of Families".
Das ist kein wissenschaftlicher Hokus-Pokus. Und man wird kaum sämtlichen Eltern unterstellen können, systematisch zu lügen, um Studienergebnisse so zu verfälschen, dass es so aussieht, als würden Kinder unglücklich machen, obwohl die gegenteilige Meinung gesellschaftlich erwartet wird.
Exemplarische Studien
Eltern sagen über sich selbst, sie wären mit Kindern unglücklicher:
http://www.economics.harvard.edu/faculty/alesina/files/Inequality%20and%20Happiness.pdf [3]
Die Lebenszufriedenheit von Eltern ist niedriger:
http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/staff/faculty/oswald/macrohappinessoct2001.pdf [4]
Eltern sind weniger zufrieden mit ihrer Ehe:
http://www.jstor.org/pss/3600024 [5]
Die mentale Gesundheit von Eltern ist geringer:
Eltern bleiben unglücklicher, selbst wenn die Kinder das Haus schon verlassen haben:
http://www.jstor.org/pss/351391 [7]
Dass Kinder glücklicher machen, ist eine Wahnvorstellung, die sich memetisch wie ein "Super-Replikator" vermehrt. Wer Kinder für einen Faktor hält, der insgesamt das Leben eher unglücklicher macht, hat Probleme, seine Erkenntnis an die nächste Generation weiterzugeben:
http://www.amazon.de/Ins-Glück-stolpern-Unvorhersehbarkeit-wünschen/dp/3570500632 [8]
Und dies ist, wie gesagt, nur ein kleiner Auszug der Fachliteratur zum Thema, die beinahe einhellig und wiederholt zum selben Ergebnis gelangt.
Geht es auch differenzierter?
Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sich diese Erkenntnis mit den unglücklichen Eltern nur auf westliche Gesellschaften mit Ausnahme der skandinavischen Länder (aufgrund ihrer umfassenden staatlichen Kinderfürsorge) und auf unsere Zeit bezieht. Anderswo und zu anderen Zeiten haben Kinder unter Umständen glücklicher gemacht.
Allerdings liegt dies mitunter daran, dass Kinder früher als Arbeitskräfte eingesetzt wurden und natürlich waren die Eltern glücklicher, dass ihnen jemand bei der Arbeit hilft, anstatt ihnen zusätzlich Arbeit zu machen und sie mehrere Millionen Euro zu kosten. Die Kinder, versteht sich, waren damals weniger glücklich. Aber hier im Westen, wo die Menschen Freiheit, Selbstverwirklichung und Hedonismus zu schätzen gelernt haben, sind Kinder eben häufiger eine Belastung.
In den skandinavischen Ländern ist die Aufzucht von Kindern dagegen viel einfacher und stressfreier als hier oder in den USA, weil sich dort der Staat um alles kümmert und die Eltern sich beinahe keine Sorgen mehr um die Zukunft ihres Nachwuchses machen müssen. Kinder kosten in den skandinavischen Ländern weniger als hier und die Eltern haben mehr Freizeit, darunter, wie in Dänemark, ein ganzes Jahr (!) bezahlten Urlaub nach der Geburt eines Kindes. Diese Bedingungen sind aber einfach unnormal. In der Regel ist die Kinderaufzucht viel schwieriger.
Wenn sich trotzdem jemand Kinder wünscht, werden keine bösen Wissenschaftler in sein Haus einbrechen und ihm die Fortpflanzung untersagen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Fakten beim Namen zu nennen. Was Sie damit machen, ist Ihr Problem.
Zudem ist die Kinderfrage stets individuell und statistische Durchschnittswerte sagen nicht unbedingt etwas über die konkrete, individuelle Situation von willigen Eltern aus – wobei man sie trotzdem nicht ignorieren sollte, denn meistens liegen die eigenen Lebensumstände und die eigene Einstellung nahe am Durchschnitt oder sind zumindest vergleichbar mit derjenigen der überprüften Bevölkerungsteile.
Ein wichtiger Faktor neben dem Aufwand und den Ausgaben für Kinder, der zur Unglücklichkeit der Eltern beiträgt, ist die gesellschaftliche Erwartungshaltung, übermäßig viel Zeit mit den Kindern verbringen zu müssen und sie auf eine Weise zu fördern, als müssten sie alle zu Mozarts und Einsteins werden. Diese Einstellung verschärft sich immerzu. Obendrein befassen sich moderne Eltern stark mit der Psychologie der Kinderaufzucht und machen sich große Sorgen, sie könnten etwas dabei falsch machen (was leider auch durchaus möglich ist, allerdings richtet der unnötige Stress eher noch mehr Schaden an).
Natürlich können Kinder glücklich machen und wer glücklich mit ihnen ist, dem seien offizielle Glückwünsche unsererseits ausgesprochen. Und wer auf den Kindermythos zu seinem eigenen Leidwesen hereingefallen ist: Unser tief empfundenes Beileid!
Subjektive Einschätzung
Da Kritiker des Beitrags so oft ihre rein subjektiven Präferenzen über wissenschaftliche Tatsachen gestellt haben, werde ich auch mal meine subjektive Meinung zum Thema abgeben. Ich für meinen Teil mag Kinder gerne und hoffe, dass sich der Staat am skandinavischen Modell orientieren wird, damit in Zukunft noch Menschen im Westen leben werden. Ferner finde ich es bedauerlich, dass immer mehr alte und kinderlose Deutsche Ärger machen, wenn Kinder an öffentlichen Orten spielen und dabei akustisch vernehmbar sind.
Wir sollten froh sein, wenn der Mensch, diese ungewöhnliche und faszinierende Spezies, weiterhin auf Erden wandeln wird. Eine Gesellschaft von überwiegend alten Menschen wäre katastrophal für die soziale Gesundheit. Es wäre zudem nicht so unvernünftig, auch unter den hiesigen Umständen, ein Kind in die Welt zu setzen, denn eines dieser wunderbaren Exemplare hat keinen so dramatischen Einfluss auf die eigene Glücklichkeit und zumindest bereut man es später nicht, überhaupt keine Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Mehr Kinder wären gesellschaftlich wünschenswert und umso mehr muss die Politik aktiv werden und nicht nur in Hinblick auf dieses Thema einen Blick in den güldenen Norden werfen.
Meine subjektiven Befindlichkeiten bringen mich allerdings nicht dazu, Tatsachen zu leugnen. Wenn etwas ein Wahn ist, dann wird es hier auch als "Wahn" bezeichnet. Ein Think-Tank der Aufklärung wie die Giordano Bruno Stiftung ist kein Think-Tank der Vorurteile und der Konformität. Das sollten unsere Leser eigentlich wissen.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-449-771.jpg
[2] http://www.darwin-jahr.de/evo-magazin/es-ist-verdammt-heiss?page=0,3
[3] http://www.economics.harvard.edu/faculty/alesina/files/Inequality%20and%20Happiness.pdf
[4] http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/staff/faculty/oswald/macrohappinessoct2001.pdf
[5] http://www.jstor.org/pss/3600024
[6] http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/staff/faculty/oswald/revwellbeinginpanelsclarkosdec2002.pdf
[7] http://www.jstor.org/pss/351391
[8] http://www.amazon.de/Ins-Glück-stolpern-Unvorhersehbarkeit-wünschen/dp/3570500632