Presseschau | 28.05.2010
Nach einer morallosen Verirrung ins Reich der Ethik ist die Presseschau zurückgekehrt. Doch nicht nur wir haben neues Leben erschaffen, sondern auch Craig Venter, der Entschlüsseler des menschlichen Genoms. Wie es aussieht, bringt uns das aber nicht viel, denn Fundamentalisten werden die Erde beherrschen.
Doch zuvor: Holen Sie sich eine Tüte Popcorn und genießen Sie unser B-Movie der neuesten Forschung!
Craig Venter hat Leben erschaffen [2]
Der Mann, der das menschliche Genom entschlüsselte, hat nun künstliches Leben im Labor erschaffen. Es gelang seinem Team, das gesamte Genom eines Bakteriums durch ein künstliches Ebenbild auszutauschen. Das künstliche Genom begann sofort damit, die Zellen zu steuern. Nach 30 Zellteilungen war kein Unterschied mehr zu normalen Bakterien der Art Mycoplasma mycoides festzustellen. Auf Edge.org [3] geben Denker ihre Einschätzungen über die Implikationen der neuen Technologie zum Besten:
Der Wissenschaftshistoriker George Dyson fasste das Ergebnis mit den Worten zusammen: „[...] ein Code in einem digitalen Computer vermehrt sich nun selbst als das Genom von einer lebenden Zelllinie“. Der Philosoph Daniel Dennett nannte das Experiment einen „zentralen technologischen Durchbruch“. Der Physiker Freeman Dyson drückt sich ähnlich euphorisch aus: „Die Fähigkeit, neue Lebensformen zu gestalten und zu erschaffen, stellt einen Wendepunkt in der Geschichte unserer Spezies und unseres Planeten dar.“
Richard Dawkins blickt derweil in die Zukunft und spekuliert über die Erschaffung von Übermenschen: „Könnte Darwin Junior mathematisch durch ein paar kluge Verbindungen des Albert-Einstein-Genome-Projects erweitert werden?“. P.Z. Myers erklärt derweil, dass die neue Technologie unbrauchbar ist für die Konstruktion von Biowaffen, da es viel einfacher sei, neue Gene in ein existierendes Bakterium einzuschleußen, als völlig neue Krankheitserreger zu entwickeln. Er sieht das Experiment vor allem als Chance, das Leben besser zu verstehen.
Der Wissenschaftsjournalist Kevin Kelly schließlich sieht die Notwendigkeit für ein neues Verständnis von „Leben“: „Der Haupteffekt dieser Arbeit wird die Notwendigkeit sein, das Leben neu zu definieren, da wir bislang gesagt haben, dass nichts, was hergestellt wurde, Leben sein kann.
Auch für Bonobos heißt Kopfschütteln „nein“ [4]
Jedenfalls ins Zoos und Tierparks ist es offenbar so, dass Bonobo-Mütter ihre Jungen durch Kopfschütteln zurechtweisen. Die Urheber der Studie von der Freien Universität Berlin und vom Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology vermuten, dass es sich um einen Vorläufer unseres eigenen Gestus handelt. Aber vielleicht haben die Bonobos dieses Verhalten einfach den Menschen in den Zoos und Tierparks abgeschaut? Außerdem: Warum ist noch niemandem in all den Jahrzehnten Bonobo-Forschung aufgefallen, dass die Affen ihre Köpfe schütteln, um ein „nein“ auszudrücken? Vielleicht ist Bonobo-beobachten so unglaublich langweilig, dass man irgendwann gar nichts mehr mitbekommt. Oder man hebt sich ein paar Beobachtungen für spätere Veröffentlichungen auf.
Archaeopterix konnte wohl nicht fliegen [5]
Das bekannte Zwischenglied zwischen Dinosaurier und Vogel, der noch zu Darwins Zeiten entdeckte Archaeopterix, konnte wahrscheinlich nicht fliegen, wie eine neue Untersuchung zeigt. Aber manche Forscher widersprechen und glauben, er wäre nur ein schlechter Flieger gewesen.
Alles Leben stammt von einer Zelle ab [6]
In einer umfassenden, systematischen Untersuchung ist „Theobald“, Biochemiker und Autor der Website 29+ Belege für Makroevolution [7], der UCA-Theorie (Universal Common Ancestor, Universaler gemeinsamer Vorfahre) empirisch und mathematisch auf den Grund gegangen. Kreationismus ist laut seiner Arbeit eine „absolut schreckliche Hypothese“ und aus statistischer Sicht astronomisch unwahrscheinlich. Alles Leben, auch der Mensch, stammt in der Tat von einer Zelle ab.
Warum mögen wir den Underdog? [8]
Eine Reihe von Studien hat sich mit dem „Underdog-Effekt“ befasst. Es geht um unsere Tendenz, den Kandidaten zu unterstützen, der als unterlegener Herausforderer des Siegertypen gilt. Menschen neigen dazu, dem Underdog größere Chancen einzuräumen, als dies in offiziellen Quellen, z.B. Zeitungen, getan wird; insbesondere, wenn er als „Underdog“ bezeichnet wird. Er kommt ihnen sogar attraktiver und herzlicher vor, obgleich auch weniger intelligent.
Sportfans setzen stark auf die Vermehrung ihres Vergnügens und wenn sie ohnehin auf den wahrscheinlichen Sieger setzen, dann ist das Spiel weniger spannend. Setzen sie dagegen auf den Underdog, dann ist die Freude besonders groß, wenn er gewinnt und wenn er nicht gewinnt, hatte man ohnehin damit gerechnet.
Dem Underdog selbst ergeht es weniger gut, denn er fühlt sich geringer motiviert, wenn er gegen überlegene Kandidaten antritt. In Folge einer selbsterfüllenden Prophezeiung schneidet er tatsächlich schlechter ab, nur weil er als Underdog gilt. Dies wurde zum Beispiel für Profi-Golfer nachgewiesen, die schlechter spielten, wann immer Tiger Woods mit von der Partie war.
Doch ein weiterer Effekt spielt hinein: Wir sind an Gleichheit und Fairness interessiert. Natürliches Talent mag man haben oder nicht. Geben sich beide Teams große Mühe, erscheint es unfair, dass eines verliert und eines gewinnt. Also schlagen sich 2/3 bis 3/4 der Menschen beim Sport tendenziell auf die Seite des Underdogs. Für Menschen, Affen und Hunde wurde sogar aufgezeigt, dass sie bereit sind, ihren eigenen Anteil abzugeben, wenn Artgenossen keinen fairen Anteil erhalten.
Insgesamt ist der Underdog-Effekt eher in unwichtigen Bereichen wie Sport zuhause, wo es nicht so sehr darauf ankommt, wer gewinnt. Und er ist relativ gering. Menschen unterstützen zum Beispiel nicht einfach darum einen Politiker, weil seine Chancen schlechter stehen als die des anderen Kandidaten.
Kinder schlagen ist schlecht [9]
Zwar sind nicht alle gesellschaftlichen Probleme einzig und allein auf die Misshandlung von Kindern zurückzuführen, was die Psychoanalytikerin Alice Miller auch davon halten mag, aber umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse aus verschiedenen Gebieten zeigen eindeutig auf, dass die Prügelstrafe negative Auswirkungen hat. Sie ist nachweisbar ineffektiv, sie erschwert die Verinnerlichung sozialer Werte und sozialer Fähigkeiten; Prügel hängen zusammen mit Wut, Aggression und antisozialem Verhalten, sie schränken die geistige Entwicklung von Kindern ein, sie erschweren das Lernen und sie stehen in Verbindung mit Drogenmissbrauch und psychischen Krankheiten.
Also: Kinder nicht prügeln.
Kugelblitze eigentlich Illusionen [10]
Die Physiker Josef Peer und Alexander Kendl von der Uni Innsbruck vermuten, dass Kugelblitze, zumindest in manchen Fällen, optische Illusionen sind. Die elektromagnetischen Felder, die bei einem Gewitter erzeugt werden, können zu Fehlschaltungen des Gehirns führen und Wahrnehmungen ähnlich der Beschreibungen von Kugelblitzen erzeugen.
Professor wegen Akzeptanz der Evolution entlassen [11]
Bruce K. Waltke war ein unter Evangelikalen recht einflussreicher Professor für Studien des Alten Testaments beim „Reformed Theological Seminary“. In einem Vortrag hatte er sich für eine Akzeptanz der Evolutionsbiologie ausgesprochen und wurde dafür entlassen. Die BioLogos-Stiftung und die Templeton-Stiftung haben sich gegen seine Entlassung ausgesprochen, weil die beiden Stiftungen die Position vertreten, dass Evolution und Glaube vereinbar wären.
Die umstrittene Aussage aus Waltkes Vortrag lautet: „Falls die Belege die Evolution überwältigend unterstützen und wir diese Realität leugnen, dann macht das aus uns einen Kult... irgendeine fragwürdige Gruppierung, die nicht wirklich mit der Welt interagiert. Und berechtigt, weil wir unsere Fähigkeiten nicht nutzen und auf Gottes Vorsehung vertrauen, die unser Bewusstsein so weit entwickelt hat“.
Anspannung und Unsicherheit machen religiös [12]
Der wohl stärkste Faktor für die Entstehung von Religiosität ist die persönliche Unsicherheit. Belege für diese Behauptung hat Tom Rees in dem hier verlinkten Beitrag gesammelt. Es sieht sogar danach aus, dass religiöse Menschen aufgrund ihrer Veranlagung angespannter sind. Immerhin: Beten und motivierende Texte (du schaffst es!) reduzieren die Anspannung. Also sollten Gläubige öfter beten – wenn sie weniger glauben wollen.
Kann Evolution die Theologie retten? [13]
Es gibt einen neuen Trend unter Evolutionsbiologen: Die Beantwortung theologischer Fragen. Der aktuelle Versuch stammt von John Avise und wurde als wissenschaftliche Arbeit publiziert im angesehenen Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences, was an sich schon absonderlich ist. Man veröffentlicht ja auch keine Arbeiten über Handlesen in einem Physikjournal. Dann wieder gehört die NAS zu den Allversöhnern, für die kritisches Denken und blinder Glaube so ziemlich dasselbe sind.
In dieser Arbeit zeigt Avise auf, wie mangelhaft unsere DNA konstruiert ist. Sie steckt voller schädlicher Mutationen, die Krankheiten auslösen können; Mitochondrien (Zellmotoren) waren ursprünglich Mikroben, die von protoeukaryotischen Zellen (haben u.a. einen Zellkern) in einem symbiotischen Prozess eingeschlossen wurden. In unseren Zellen, die Lebewesen sind, befinden sich also die Überreste von anderen Lebewesen, die von unseren Zellen versklavt wurden. In unseren Zellen gibt es zudem verschiebbare „mobile Elemente“, die Krankheiten auslösen können. Ein großer Teil unserer DNA besteht zu guter Letzt aus sich wiederholenden Genen, die gar nichts tun.
Das sieht beileibe nicht nach intelligentem Design aus, wie Avise bestätigt. Dies hält er nun jedoch für die Lösung der Theodizee, der Frage, warum Gott das Böse zulässt. Wenn wir die Evolution anstelle von Gott als verantwortlichen Faktor für unser schlechtes Design anerkennen, dann gebe es angeblich kein Problem mehr.
Natürlich bringt das aber gar nichts, weil Gott ja immer noch da ist und eine Beschäftigung braucht. Aus theologischer Sicht muss er mindestens die Evolution zu verantworten haben. Und schon ergeben sich die gleichen Probleme wie vorher: Warum stellt er die Evolution nicht so ein, dass wir keine Genkrankheiten bekommen, etc.?
Werden Fundamentalisten die Erde besitzen? [14]
Angehörige von isolierten religiösen Gruppierungen haben mehr Kinder als liberale Gläubige und Atheisten. Beispielsweise Ultraorthodoxe Juden, die Amish (Anstieg von 5000 auf 250 000 im letzten Jahrhundert) und Pfingstler erhalten patriarchale Gesellschaftsstrukturen aufrecht. Frauen bekommen wenig Bildung und man erwartet, dass sie Kinder zeugen und sich um den Haushalt kümmern. In der Regel tun sie das auch und darum vermehren sich Fundamentalisten weltweit exponentiell und schneller als alle anderen Menschen.
Der Soziologe Eric Kaufmann kommt in seinem neuen Buch „Shall the Religious Inherit the Earth?“ zu einem niederschmetternden Ergebnis: „Ohne eine Ideologie der sozialen Kohäsion kann der Fundamentalismus nicht aufgehalten werden. Die Religiösen werden die Erde besitzen.“ Und wir reden hier von religiösen Extremisten. Insofern ist es egal, ob der Glaube in den Genen steckt, oder ob er kulturell weitergegeben wird. Denn in kleinen, isolierten Gemeinschaften gibt es keinen Zugriff auf „falsche“ Informationen.
Liberale, ob gläubig oder ungläubig, müssen Konditionen schaffen, die liberale Paare dazu motivieren, mehr Kinder in die Welt zu setzen. So lautet eine Idee von Tom Rees. Eine zusätzliche Option wäre die Auflösung religiöser Parallelgesellschaften. Die Schulpflicht ist bereits eine Einrichtung, die der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. Stattdessen geschieht das Gegenteil: Die christlichen Fundamentalisten der „12 Stämme“ dürfen in Bayern ihren Kindern Unterricht in ihrer eigenen Privatschule erteilen, als Belohnung dafür, weil sie sich lange genug nicht an die Schulpflicht gehalten haben. Und in NRW, in Niedersachen und in anderen Bundesländern verdrängen christliche Privatschulen überall die staatlichen Schulen. Nicht ursprünglich aus religiösen Gründen, sondern weil es da weniger Ausländer gibt. Aber das ist egal, weil die Religion gleich mitgeliefert wird.
Tom Rees geht davon aus, dass obendrein zwar nicht die Gene für Religiosität (die es nicht gibt), aber die Gene für eine In-Group-Mentalität in solchen Gemeinschaften stärker vererbt werden. Also werden Menschen von Natur aus immer reaktionärer.
Wie schon beim Karikaturenstreit lässt sich die freie Gesellschaft durch religiösen Terrorismus erpressen. Insofern ist es wahrscheinlich, dass die Welt in ein paar hundert Jahren wieder aus kriegerischen Stämmen bestehen wird.
Literatur macht ungläubig [15]
Mehrere amerikanische Studien haben sich mit der Frage befasst, welche Auswirkungen verschiedene Studienfächer auf die Religiosität der Studierenden haben. Zwar sind Naturwissenschaftler weniger religiös als der Durchschnitt der Bevölkerung, allerdings sind sie das bereits zu Beginn des Studiums und nicht aufgrund des Studiums. Außerdem besuchen Naturwissenschaftler häufig den Gottesdienst, bedenkt man, dass sie ungläubig sind. Dies hängt wohl mit sozialer Konformität zusammen.
All dies gilt nicht für Studenten der Geisteswissenschaften: Sie sind nach ihrem Studium ungläubiger und sie gehen auch nicht in die Kirche. Tom Rees vermutet, dass es die Erweiterung des Weltbildes ist, was Geisteswissenschaftler so gottlos werden lässt. Sie lernen verschiedene Kulturen und verschiedene Zeiten kennen und erfahren, wie relativ Gottesbilder eigentlich sind.
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-432-731.gif
[2] http://www.sueddeutsche.de/wissen/kuenstliches-leben-premiere-craig-venter-spielt-gott-1.945572
[3] http://www.edge.org/discourse/creation/creation_index.html
[4] http://www.aerztezeitung.de/panorama/article/602367/menschenaffen-forschung-kopfschuetteln-heisst-nein.html
[5] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/05/14/archaeopteryx-probably-couldnt-fly/
[6] http://news.nationalgeographic.com/news/2010/05/100513-science-evolution-darwin-single-ancestor/
[7] http://www.nature.com/nature/journal/v465/n7295/full/nature09014.html#/
[8] http://www.slate.com/id/2252372/pagenum/all/
[9] http://www.samharris.org/images/uploads/42-4_Sacks.pdf
[10] http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/311111
[11] http://www.insidehighered.com/news/2010/04/09/video
[12] http://epiphenom.fieldofscience.com/2010/05/whats-evidence-that-anxiety-and.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+BhaScienceGroup+%28Epiphenom%29
[13] http://whyevolutionistrue.wordpress.com/2010/05/09/does-evolution-improve-theology/
[14] http://epiphenom.fieldofscience.com/2010/05/shall-fundamentalists-inherit-earth.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+BhaScienceGroup+%28Epiphenom%29
[15] http://epiphenom.fieldofscience.com/2010/05/studying-science-doesnt-make-you.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+BhaScienceGroup+%28Epiphenom%29