Tierethik | 22.06.2009
Können Tiere denken? Haben sie eine Moral, die man mit der menschlichen vergleichen kann? Welche Grenzen zwischen Tier und Mensch lassen sich angesichts der Erkenntnisse der Evolutionstheorie noch aufrechterhalten? Kritische Stimmen meinen, dass dem Menschen vielleicht doch eine gewisse Sonderstellung in der Natur zukommt.
Können Tiere denken und moralisch handeln?
Lässt sich unsere Katze gerne streicheln, weil sie uns mag, oder weil wir ihr Futter geben? Inwiefern sind Tiere in der Lage zu denken? Der Philosoph Reinhard Brandt kommt zu dem Ergebnis [2], dass die meisten Tiere zum Erwägen, Urteilen, Reflektieren, logischen Verknüpfen und Moralisieren nicht fähig sind. Sie reagieren nur auf Reize, obgleich beizeiten auf recht komplexe Art und Weise, was die Illusion erzeugen kann, sie würden denken wie wir.
Laut einem neuen Buch von Prof. Marc Bekoff dagegen können Tiere nicht nur denken, sondern sie treffen auch moralische Entscheidungen [3]. Diese regulieren angeblich das Sozialverhalten der Tiere. Es geht Prof. Bekoff vor allem um ein angeborenes Gespür für Fairness und Empathie, teils über Artgrenzen hinweg (z.B. Delfine). Der Primatologe Frans de Waal gibt allerdings zu bedenken: „Ich glaube nicht, dass Tiere im selben Sinne moralisch sind wie Menschen – mit einem hochentwickelten und vernunftbasierten Gespür für richtig und falsch – aber ich glaube, dass menschliche Moralität ein Bündel von psychologischen Neigungen und Fähigkeiten enthält, wie Empathie, Reziprozität (Gegenseitigkeit), ein Verlangen nach Kooperation und Harmonie, die älter sind als unsere Spezies.“
„Die menschliche Moralität hat sich nicht aus dem Nichts entwickelt, sondern erwuchs aus unserer Primatenpsychologie“, sagt de Waal ferner. „Primatenpsychologie hat uralte Wurzeln und ich stimme zu, dass andere Tiere viele der selben Neigungen zeigen und eine intensive Sozialität besitzen.“
Die Unterschiede zwischen menschlicher und tierischer Moral
Die Grenzen zwischen tierischer und menschlicher Moral werden zunehmend von Philosophen eingerissen. Die Evolutionstheorie dient dabei als Grundlage, da sie den Menschen im Tierreich verankert und Unterschiede zwischen ihm und anderen Tieren nur mehr graduell erscheinen lässt. Dies könnte jedoch zu weit geht, wie der Wissenschaftsjournalist Tim Dean argumentiert [4].
Dean betont, dass die Behauptung, es gäbe keine “Kluft” zwischen Menschen und Tieren im Bereich der Moral mit der Behauptung verglichen werden könne, es gäbe keine “Kluft” zwischen Menschen und Tieren im Bereich der Sprache. “Schließlich geben Tiere Äußerungen von sich, die Konzepte an andere Tiere vermitteln – wie etwa “Gefahr” oder “Ich bin hier”. Der Unterschied zur menschlichen Sprache sei nur ein gradueller, kein grundsätzlicher.
“Aber das ist einfach falsch”, stellt Dean fest. Der große Unterschied bestehe in der Eigenschaft der Rekursion (Die Einbettung von Sätzen in andere Sätze), welche die menschliche Sprache aufweist und die tierische Sprachen vermissen lassen. “Und dies macht die menschliche Sprache nicht nur graduell verschieden, sondern zeigt, dass sie einer komplett anderen Art angehört.”
In der Tat geht die Sprachwissenschaft von mehreren Unterschieden zwischen menschlicher und tierischer Kommunikation aus:
1. Tierische Kommunikation beschränkt sich auf die Hier-und-Jetzt-Situation.
2. Tiere planen nicht, haben kein Langzeit-Gedächtnis und geben keine Mitteilungen über weit entfernte Zeitpunkte.
3. Es gibt bei Tieren keine Metakommunikation (Sprechen über Sprache).
4. Tiere unterscheiden nicht zwischen Subjekt und Prädikation.
5. Tiere erfinden keine neuen Zeichen.
6. Tiere stellen keine Fragen.
Allerdings muss man einräumen, dass die Unterschiede zum Menschen bei Menschenaffen geringer ausfallen als bei anderen Tieren. So kann man ihnen eine gewisse Planungsfähigkeit nicht mehr absprechen [5].
In ähnlicher Weise sei nun davon auszugehen, dass sich die menschliche Moralität ebenso grundsätzlich von der tierischen unterscheide.
Dean betont, er stehe der Theorie wohlwollend gegenüber, dass wir einen großen Teil unserer moralischen Empfindungen und Einrichtungen mit vielen Tieren, vor allem mit anderen Primaten, teilen. Dennoch: “Wir Menschen haben eine zusätzliche Einrichtung, die beim Verständnis unseres moralischen Verhaltens zentral ist: Vernunft. Und damit meine ich bewusste Reflektion, Absicht, Vorstellungskraft und die Abwägung diverser Fakten und moralischer Überzeugungen.”
So abstrahieren nur wir Menschen Dean zufolge moralische Prinzipien von vergangenen Erfahrungen und durch die Reflektion. Diese Prinzipien kämen bei uns zur Anwendung, “wenn wir mit einem Dilemma oder einer Intuition konfrontiert werden, die mit ihnen im Konflikt steht. Wir teilen diese moralischen Prinzipien und ermutigen andere dazu, sie aufzunehmen. Würden wir das nicht tun, konfrontierten wir jede Situation nur mit einer Ausübung unserer moralischen Intuitionen und Emotionen – wie es andere Tiere tun.”
Abschließend bemerkt Dean: “Ich möchte die Rolle der Vernunft bei moralischen Beurteilungen nicht übertreiben, aber man sollte sie auch nicht unterschätzen. Die Moralphilosophie mag zu lange explizit die Vernunft betont haben, aber übertreiben wir es nicht auf unserem Weg zu einer Korrektur.”
AM
Links:
[1] http://www.darwin-jahr.de/sites/darwin-jahr.de/files/story/node-287-461.jpg
[2] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/937904/
[3] http://www.telegraph.co.uk/earth/wildlife/5373379/Animals-can-tell-right-from-wrong.html
[4] http://ockhamsbeard.wordpress.com/2009/06/21/animal-and-human-morality/
[5] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,612251,00.html