Religionsforschung | 21.10.2010

Werden Fanatiker die Zivilisation einnehmen?

 

Besteht Hoffnung?

New York Times über die Kinder Gottes Eine Meinungsverschiedenheit zwischen Blume und mir besteht weiterhin darin, dass er es für wahrscheinlich hält, dass Religiosiät eine Exaptation ist, sie sich also zu einer Adaption wandelt und somit direkt in unseren Genen liegen würde – der Gottesglaube wäre manchen Menschen demnach unmittelbar angeboren. Gläubige müssten in dem Sinne an Gott glauben, wie wir alle einen Sexualdrang haben. Es gäbe eine Art von „Gottesdrang“.

Ich denke nicht, dass Religiosität im Sinne eines Glaubens an übernatürliche Agenten (Blumes Definition) der Grund ist, warum Gläubige und vor allem isolierte Fundamentalisten mehr Kinder haben. Vielmehr spielen meiner Auffassung nach die Glaubensinhalte eine Rolle („Seid fruchtbar und vermehret euch“) und ebenso haben religiöse Parallelgesellschaften den reproduktiven Vorteil, dass Frauen gewaltsam in der klassischen Hausfrauen- und Mutterrolle gehalten werden. In Verbindung mit weiteren sozialen Kontrollmechanismen entsteht eine Art Terrorherrschaft von ultrareaktionären Kinderfabrikanten.

Rein in Hinblick auf die Produktion von Nachwuchs ist es eine Tatsache, dass intelligente, emanzipierte Frauen – erst recht, wenn sie obendrein auch noch Atheistinnen sind – in freien Gesellschaften zunehmend selten Kinder bekommen. Das ist natürlich ihre Sache – und in Hinblick auf das persönliche Wohlbefinden eine kluge Entscheidung –, aber die extremsten Fundamentalisten bekommen sehr viele Kinder und sie können ihre Parallelgesellschaften über Generationen hinweg in weitgehender Isolation aufrechterhalten und ausbauen. Die Amischen haben sich in den letzten 100 Jahren von 5000 auf 250 000 Mitglieder vermehrt.

Eric Kaufmann schreibt sogar: „Islamistische Muslime haben den Kulturkrieg im größten Teil der muslimischen Welt gewonnen und ihr Erfolg ermöglicht einen flüchtigen Eindruck, was dem christlichen Westen und Israel noch bevorsteht“. In Israel befürchtet Kaufmann eine Übernahme durch ultraorthodoxe Juden.

Der Iran-stämmige Professor Darren Sherkat zeigt sich im Kommentarbereich des Blogs von Tom Rees, beide Religionsforscher, ebenso pessimistisch: „Wir haben es immer wieder in vielen Nationen beobachtet, der Iran ist der offensichtlichste Fall – fundamentalistische Spinner aus dem Hinterland überbrüten alle anderen und übernehmen dann.“

Das Internet könnte als Gegenreaktion helfen, weil dort Atheisten für gewöhnlich die Diskussionen für sich entscheiden und ihr Gegengift verbreiten können. Aber es könnte auch schaden, da sich isolierte Fundamentalistengruppen über das Internet zellenartig organisieren und ausbreiten können.

Ein Beispiel für die Zellen-Organisationsform ist die Duggar-Familie, die eine eigene US-Fernsehsendung bekommen hat namens 19 Kinder und mehr. Sie halten in ihrem Zuhause Gottesdienste ab, wo sie auch ihre zahlreichen Kinder unterrichten, und sie treffen sich mit Gleichgesinnten auf Kongressen, Camps und so weiter. Ihr Kontakt zur Außenwelt ist massiv eingeschränkt.

Ein umfassenderes Beispiel ist die Quiverfull-Bewegung von evangelikalen Christen, die inzwischen aus tausenden insularen Gruppierungen besteht, deren wichtigster Glaubenssatz die Vermehrung ist. Es sieht keineswegs danach aus, dass insulare Fundamentalisten-Gemeinden irgendwann zusammenbrechen müssten. Die islamische Welt ist zu großen Teilen so organisiert und dort bricht gar nichts zusammen. Im Gegenteil breitet sich der Fundamentalismus dort weiter aus, während sich der christliche Fundamentalismus in anderen Teilen Welt ausbreitet.