Presseschau | 26.02.2010

Die Welt ist kompliziert

 


 

Sind Atheisten X-Men?

Atheisten sind im Durchschnitt intelligenter als Gläubige und sie sind liberaler. So weit nichts Neues, auch wenn eine aktuelle Studie diese älteren Befunde einmal mehr bestätigt hat. Neu ist jedoch: Atheisten bleiben nachts länger wach, schlafen länger und stehen später auf. Ebenso neu und viel erstaunlicher: Atheistische Männer sind treuere Partner und leben eher monogam.

Gemeinsam haben all diese Eigenschaften, dass sie evolutionäre Neuerungen sind, so der Evolutionspsychologe Satoshi Kanazawa. Und intelligentere Menschen kommen besser damit zurecht, diese Neuerungen zu akzeptieren. Frauen sind ohnehin von Natur aus eher monogam ausgerichtet als Männer, weshalb das bei ihnen kein Kriterium ist. Also sind monogame Männer die fortschrittsbegeisterten Nerds – und nicht die Schürzenjäger. Religiosität kann als eine Art Paranoia gesehen werden, so der Psychologe, was in Urzeiten Vorteile gehabt haben mochte, da überall Gefahren lauerten. In unseren sicheren Gesellschaften kann man sich dagegen entspannen. Diese Erklärung passt gut zur Nebenprodukt-Theorie der Religiosität, die sich gerade durchsetzt. Demnach neigen wir eher zur Religiosität oder allgemein zum Aberglauben, wenn wir unsicher sind. Und dies hängt stark von Umweltfaktoren ab. Wenn hinter jedem Busch ein Löwe lauern kann, dann sind wir eben unsicherer und sehen Muster (z.B. Löwen oder Geister), wo keine sind.

 

Gegen böse Materialisten

Der Theologe Dr. Hans Kessler, auf der Website des Bistums Trier als „Religionswissenschaftler“ bezeichnet (das ist übrigens etwas anderes), deutete die Evolution in Abgrenzung vom Kreationismus und einem „materialistischen Fundamentalismus“. Damit wird das aktuelle Theologenspielchen weitergeführt, mit dem sie religiöse Fundamentalisten und Naturalisten auf eine Ebene stellen wollen. „Der Schöpfungsglaube sei eine vernünftige Option“, heißt es. Ferner: „Wer aber nach Gott fragt, fragt nach dem Grund des ganzen und nicht nur nach einem Glied in einer unendlichen Ursachenkette.“ Die Schöpfung sei die Voraussetzung für die Evolution. Sehen wir uns das einmal näher an:

Theologen akzeptieren für gewöhnlich, dass das Universum mit dem Urknall begonnen hat. Gott sei für diesen verantwortlich und habe somit auch den Prozess der Evolution als seine Schöpfungsmethode eingeleitet. Aber wozu braucht Gott einen Urknall? Das ist ein extrem langsamer, komplizierter und verschwenderischer Weg, um ein Universum, geschweige denn Menschen, zu erschaffen. Warum erschafft Gott das Universum nicht einfach spontan, ohne große Umwege? Warum erschafft er unzählige Galaxien, darunter unermessliche viele schwarze Löcher (laut dem Physiker Lee Smolin ist das Universum sogar für schwarze Löcher, und nicht für Leben, „gemacht“)? Warum erschafft Gott nicht einfach nur Erde und Sonne, vielleicht noch den Mond, wenn es doch um uns geht? Warum erschafft er uns überhaupt auf eine Weise, dass wir die Sonne nötig haben?

Wozu benötigt Gott Quarks, Neutrinos und Milliarden Jahre mechanischer Prozesse? Wie gelangen wir von „Gott hat es gemacht“ zu einer Antwort auf die Frage, wie viele Arten von Quarks existieren? Wie gelangen wir auf diese Weise zu irgendeiner Antwort? „Gott“ erklärt gar nichts.

Warum sollte Gott existieren? Warum ein spezifischer Gott und nicht ein anderer? Woher kommt er? Wenn er schon immer da war, warum hat er die Form, die er hat, und keine andere? Wenn Gott schon vor der Existenz von Zeit und Raum existierte, wo und wann soll er existiert haben, was bedeutet in einem solchen Fall überhaupt „Existenz“? Sollte Gott in einem von der natürlichen Welt unabhängigen Ort existiert haben, wo bereits eine Art von Raum und Zeit existierte, wie sind diese dann entstanden und wie interagieren sie mit der natürlichen Welt?

Wenn Gott so einen großen Einfluss hatte, warum können wir überhaupt keine Belege für sein Wirken erkennen? Warum ist alles exakt so, wie es wäre, wenn kein Gott existierte?

Wissenschaftler vermeiden so genannte „Ad Hoc“-Erklärungen. Das ist etwas, was man erfindet, ohne dafür Belege zu haben. Das kann unter Umständen Sinn ergeben, wie bei Lee Smolins Idee einer „kosmologischen Vererbung“, weil die Belege schlicht nahelegen, dass noch etwas existiert (die Rede ist von einem weiteren Naturgesetz, nicht von Gott). Die einzigen Dinge, deren Existenz jemals tatsächlich bewiesen worden sind, sind Materie, Energie und Raumzeit – und selbst diese lassen sich wahrscheinlich weiter reduzieren auf bloße Raumzeit, weil Energie aus einer bestimmten Interaktion der Raumzeit resultiert und Materie aus einer bestimmten Anordnung von Energie. Die physikalischen Gesetze (Naturgesetze) sind eigentlich nur Beschreibungen der Art und Weise, wie sich die Raumzeit verhält und bereits in ihrer Beschaffenheit angelegt. Es gibt durchaus Naturalisten, die sehr viel mehr postulieren als bloße Raumzeit, aber sie geben dafür wengistens Gründe an und erläutern, inwiefern ihre Annahmen real existierende Phänomene erklären könnten.

Theologen tun dies mit Gott nicht. Sie erklären weder, was Gott eigentlich ist, noch, wie genau er die Welt erschaffen hat, noch, woher er kommt. Was sollen wir also mit ihm?

 

AM