Presseschau | 28.05.2010

Sie lebt, Igor!

 

Werden Fundamentalisten die Erde besitzen?

Angehörige von isolierten religiösen Gruppierungen haben mehr Kinder als liberale Gläubige und Atheisten. Beispielsweise Ultraorthodoxe Juden, die Amish (Anstieg von 5000 auf 250 000 im letzten Jahrhundert) und Pfingstler erhalten patriarchale Gesellschaftsstrukturen aufrecht. Frauen bekommen wenig Bildung und man erwartet, dass sie Kinder zeugen und sich um den Haushalt kümmern. In der Regel tun sie das auch und darum vermehren sich Fundamentalisten weltweit exponentiell und schneller als alle anderen Menschen.

Der Soziologe Eric Kaufmann kommt in seinem neuen Buch „Shall the Religious Inherit the Earth?“ zu einem niederschmetternden Ergebnis: „Ohne eine Ideologie der sozialen Kohäsion kann der Fundamentalismus nicht aufgehalten werden. Die Religiösen werden die Erde besitzen.“ Und wir reden hier von religiösen Extremisten. Insofern ist es egal, ob der Glaube in den Genen steckt, oder ob er kulturell weitergegeben wird. Denn in kleinen, isolierten Gemeinschaften gibt es keinen Zugriff auf „falsche“ Informationen.

Liberale, ob gläubig oder ungläubig, müssen Konditionen schaffen, die liberale Paare dazu motivieren, mehr Kinder in die Welt zu setzen. So lautet eine Idee von Tom Rees. Eine zusätzliche Option wäre die Auflösung religiöser Parallelgesellschaften. Die Schulpflicht ist bereits eine Einrichtung, die der Bildung von Parallelgesellschaften entgegenwirkt. Stattdessen geschieht das Gegenteil: Die christlichen Fundamentalisten der „12 Stämme“ dürfen in Bayern ihren Kindern Unterricht in ihrer eigenen Privatschule erteilen, als Belohnung dafür, weil sie sich lange genug nicht an die Schulpflicht gehalten haben. Und in NRW, in Niedersachen und in anderen Bundesländern verdrängen christliche Privatschulen überall die staatlichen Schulen. Nicht ursprünglich aus religiösen Gründen, sondern weil es da weniger Ausländer gibt. Aber das ist egal, weil die Religion gleich mitgeliefert wird.

Tom Rees geht davon aus, dass obendrein zwar nicht die Gene für Religiosität (die es nicht gibt), aber die Gene für eine In-Group-Mentalität in solchen Gemeinschaften stärker vererbt werden. Also werden Menschen von Natur aus immer reaktionärer.

Wie schon beim Karikaturenstreit lässt sich die freie Gesellschaft durch religiösen Terrorismus erpressen. Insofern ist es wahrscheinlich, dass die Welt in ein paar hundert Jahren wieder aus kriegerischen Stämmen bestehen wird.

 

Literatur macht ungläubig

Mehrere amerikanische Studien haben sich mit der Frage befasst, welche Auswirkungen verschiedene Studienfächer auf die Religiosität der Studierenden haben. Zwar sind Naturwissenschaftler weniger religiös als der Durchschnitt der Bevölkerung, allerdings sind sie das bereits zu Beginn des Studiums und nicht aufgrund des Studiums. Außerdem besuchen Naturwissenschaftler häufig den Gottesdienst, bedenkt man, dass sie ungläubig sind. Dies hängt wohl mit sozialer Konformität zusammen.

All dies gilt nicht für Studenten der Geisteswissenschaften: Sie sind nach ihrem Studium ungläubiger und sie gehen auch nicht in die Kirche. Tom Rees vermutet, dass es die Erweiterung des Weltbildes ist, was Geisteswissenschaftler so gottlos werden lässt. Sie lernen verschiedene Kulturen und verschiedene Zeiten kennen und erfahren, wie relativ Gottesbilder eigentlich sind.

 

AM