Evolutionäre Psychologie | 01.08.2009

Die revolutionären Konsequenzen der Evolutionstheorie


Danke, Darwin? – Darwins Schatten!

Werfen wir nun einen Blick auf einige der Publikationen zum Darwin-Jubiläum, die Anfang des Jahres 2009 in den großen Zeitungen Deutschlands erschienen. Die oben erwähnte Jubiläums-Ausgabe der Zeit enthielt Beiträge mehrerer Autoren, beispielsweise ein Interview mit der Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, deren Eintreten für Darwins Theorien („Es ist alles wahr“) nichts an Klarheit zu wünschen übrig ließ. Auffälliger wurde aber der einleitende Beitrag des Wissenschaftsjournalisten Jürgen Neffe präsentiert, der das Motto der Jubiläumsausgabe aufgreift. Unter der Überschrift „Danke, Darwin!“ kann man hier Erstaunliches lesen, denn das im Titel anklingende Lob wird im Text völlig konterkariert. Neffes Beitrag ist eine einzige bittere Abrechnung mit Darwins Anspruch, auch die Evolution unserer eigenen Spezies zu erklären: Es geht um den „Schatten jenes Mannes, der unser Sein und Bewusstsein nachhaltiger geprägt hat als jeder politische Führer. Es war Charles Darwin, […] der das Schicksal seiner Spezies dem Primat der Biologie unterwarf und ihrer Entwicklung damit einen gewaltigen Stolperstein in den Weg schob.“ Entsprechend kritisch werden dann auch die Nachfolger Darwins betrachtet: „Der Mensch ist schlecht, er kann nicht anders. Soziobiologen und ihre jüngsten Ableger, die Evolutionspsychologen, werfen uns auf Steinzeitniveau zurück und behaupten (ohne Beweise liefern zu können), unser heutiges Verhalten habe sich im Wesentlichen als biologische Anpassung an die damaligen Verhältnisse entwickelt“ (Neffe 2008: 29-30). Eine Ausnahme? – Keineswegs!

Wenig später schien im Spiegel eine dreiteilige Serie unter dem Motto „200 Jahre Darwin“ (19.1./26.1./2.2.2009). Der erste und zweite Teil, die sich mit der Evolution im Allgemeinen und mit neueren paläoanthropologischen Erkenntnissen befassen, sind durchweg positiv und sachlich verfasst. Ganz anders dann der dritte Teil, in dem es unter der Überschrift „Im Bann der Steinzeit“ um die Bedeutung der Evolution für das Verhalten heutiger Menschen geht: „Zwar leugnet kein Forscher, dass Stoffwechsel und Fortpflanzung des Menschen biologische Erbschaften aus dem Tierreich sind. Doch dass die Evolution auch den Geist des Homo sapiens in ähnlicher Weise geprägt hat, das bestreiten besonders geisteswissenschaftliche Gelehrte oft kategorisch“ (Blech 2009: 136-36). Im weiteren Verlauf werden dann vor allem die Thesen des Philosophen David J. Buller referiert, die dieser im Januar 2009 für Scientific American zusammengefasst hatte („Four Fallacies of Pop Evolutionary Psychology”).

Buller kommt zu der pessimistischen Einschätzung, dass die evolutionären Grundlagen der menschlichen Psychologie wohl nie eindeutig geklärt werden können, da das Beweismaterial „wohl für immer verloren“ sei (Buller 2009: 65). Zudem glaubt er, dass es durch die neue Umwelt der Zivilisation zu einer schnellen Evolution auch der geistigen Merkmale der Menschen gekommen sei. Im Gegensatz zu den Annahmen der evolutionären Psychologie sollen die Menschen also nicht mehr von ihrer Vergangenheit als Jäger und Sammler geprägt sein. Inwiefern dies tatsächlich der Fall ist, bleibt indes offen, da von Buller (oder im Spiegel) kein plausibles Szenario offeriert wird, das den für eine so rasanten Entwicklung notwendigen Selektionsdruck aufzeigen würde und dies an konkreten Beispielen belegte. Aufschlussreich ist auch eine der Illustrationen des Spiegel-Artikels, da sie einen wichtigen Aspekt der Darwin-Kritik deutlich macht. Ein abstoßendes Foto zeigt, wie ein Mann einer mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegenden, fast nackten Prostituierten mit dem Mund Geldscheine offeriert.

In der Süddeutschen Zeitung war der Publizist Richard David Precht eingeladen, das Darwin-Jubiläum aus seiner Sicht zu kommentieren („Die Verdrehung der Arten“). Ein besonderes Anliegen war es ihm, Darwin vor seinen Anhängern in Schutz zu nehmen. Obwohl nicht ganz klar ist, woher er seine Expertise auf dem Gebiet der Evolutionsbiologie nimmt, meinte er mit Robert Trivers, William Hamilton und Richard Dawkins einige der bedeutendsten Evolutionsbiologen der letzten Jahrzehnte scharf kritisieren zu müssen. Auch Precht glaubt nicht, dass sich menschliche Verhaltensweisen, von einigen Grundbedürfnissen abgesehen, biologisch erklären lassen: „Was würde Darwin wohl über diejenigen denken, die sich heute mit schrägen Thesen auf ihn berufen? […] würde er eine Wissenschaft wie die sogenannte evolutionäre Psychologie schätzen, die all unser Sozialverhalten auf steinzeitliche biologische Prägungen zurückführt? […] Haben meine Gene eine Fehlzündung, wenn ich darauf verzichte, jedes attraktive Weibchen zu begatten, oder wenn ein Weibchen darauf verzichtet, die maximale Anzahl an Kindern zu gebären?“ (Precht 2009: 12-13).

Um zu zeigen, wie flächendeckend solcherart gehässige und uninformierte Kommentare in den Medien geäußert werden, sei noch auf eine Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hingewiesen, in der es heißt: „Eine wissenschaftliche Peinlichkeit wie die Evolutionspsychologie […] steht mit ihren Prämissen und ihrer Methodik auf derartig wackligen Füßen, dass zahlreiche Biologen sie als nur publikumswirksame Pop-Wissenschaft schmähen oder wenigstens meiden“ (Weber 2009).
An dieser Stelle ist es nicht möglich, im Detail auf die verschiedenen Kritikpunkte und Alternativkonzepte einzugehen. Wir möchten nur auf einige auffällige Gemeinsamkeiten hinweisen. Zum einen fühlen sich mittlerweile auch evolutionsbiologische Laien berufen, in höchst abfälliger Weise über eine Wissenschaft zu urteilen, von der sie nur oberflächliche Kenntnis haben. Dies werden sie aber nur tun, wenn sie sich von einer breiten Stimmung getragen fühlen. Zum anderen widersprechen sich die Aussagen der genannten Kritiker zum Teil gravierend. So hält Neffe Darwin für den geistigen Vater der evolutionären Psychologie, während Precht genau dies bestreitet. Während Neffe behauptet, dass menschliches Verhalten zu 95% kulturell geprägt sei, vermutetet Buller, dass es in letzten wenigen Jahrtausenden zu tiefgreifenden genetischen Veränderungen kam. Inhaltlich ist der gemeinsame Nenner der Kritiker also eher schmal. Gemeinsam ist ihnen aber der emotionale Widerstand, der sich als Unsachlichkeit, Polemik, Moralisieren und in der Andeutung von angeblich drohendem Unheil äußert.