Evolutionäre Psychologie | 01.08.2009

Die revolutionären Konsequenzen der Evolutionstheorie

Darwin Che von PaleoFreak, deviantart.com

Thomas Junker und Sabine Paul

Wer hat heute noch Angst vor der Evolution? 150 Jahre nach dem Erscheinen seines berühmten Buches über die Entstehung der Arten hat sich Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie weitestgehend durchgesetzt. Die erbitterten wissenschaftlichen und weltanschaulichen Kontroversen der letzten Jahrzehnte scheinen beigelegt oder zumindest vergessen.

Selbst die ansonsten lautstarken religiösen Evolutionsgegner (die ‚Kreationisten’) halten sich auffällig bedeckt. Zugleich wird ein neuer Darwin gefeiert, der revolutionäre Denker ist zum seekranken Reiseschriftsteller und zum Vorbild für den Event-Tourismus unserer Zeit mutiert.

Im Januar 1844 hatte Darwin die Idee der Evolution mit einem Kapitalverbrechen gleichgesetzt: Es „ist wie einen Mord gestehen“ (CCD, 3: 2). All dies soll nun Vergangenheit sein, das versichert uns die Mehrzahl der zu Darwins 200. Geburtstag erschienenen Bücher und Medienbeiträge. So startete eine der führenden Zeitungen Deutschlands, Die Zeit, mit einem in großen Lettern geschriebenen „Danke, Darwin“ auf dem Titelblatt in Jahr 2009. Es scheint zu schön, um wahr zu sein. Wer in den letzten Jahren und Jahrzehnten die öffentlichen Debatten um die Evolutionstheorie auch nur am Rande verfolgt hat, der wird die tiefgreifenden und ungebrochenen Konflikte um Darwins Erbe bemerkt haben. Und in der Tat: Kratzt man nur ein wenig an der freundlichen Fassade, dann treten die nur allzu bekannten Ressentiments und Widerstände zu Tage. Viele Leser werden in diesem Zusammenhang zunächst an die religiösen Gegner der Evolutionstheorie, die sogenannten Kreationisten, denken. Und sie haben mit ihrer Vermutung sicher recht – wie wir sehen werden, ist dies aber nur ein Teilaspekt eines umfassenderen Problems. Denn viele, auch erklärtermaßen nicht-gläubige Menschen teilen diese Angst vor Darwins Theorien.

Lässt man die Publikationen und Kommentare der letzten Monate Revue passieren, dann zeigt sich deutlich, wo sich der Widerstand gegen Darwins Theorien formiert: Es ist die kulturalistische Position, der zufolge die Evolutionstheorie zwar nicht falsch, aber für das Verständnis der Menschen irrelevant ist, sobald es um mehr geht als um die körperlichen Merkmale und unmittelbarsten physischen Bedürfnisse. Zu den geistigen Fähigkeiten der Menschen und / oder ihrer Kultur dagegen soll die Evolutionsbiologie nichts wirklich Erhellendes beitragen können.


Kultur – Natur

Der wissenschaftliche Kulturalismus hat eine lange Tradition und dominierte von den 1920er bis 1970er Jahren die öffentliche Meinung sowohl in den westlichen Ländern als auch der Sowjetunion. Er postuliert, dass die geistigen Eigenschaften der Menschen stärker von der (kulturellen) Umwelt als von den ererbten Anlagen (den Genen) bestimmt werden. Viele Kulturwissenschaftler sind davon überzeugt, dass erlerntes Verhalten die biologischen Grundstrukturen bis zur Unkenntlichkeit überlagert oder ins Gegenteil verkehrt hat. So schrieb die berühmte amerikanische Ethnologin Margaret Mead: „Wir sind gezwungen zu folgern, dass die menschliche Natur fast unglaublich formbar ist“ (1935: 280). Wenn dies der Fall wäre, dann hätte die Evolutionstheorie nur geringe Bedeutung für das Selbstverständnis der Menschen, zumindest in Bezug auf geistige Merkmale. Da die kulturalistische Position zudem einen größeren gesellschaftspolitischen Optimismus zu rechtfertigen schien, galt er als politisch progressiv. Allerdings ist zu bedenken, dass die Modifizierbarkeit und Kontrollierbarkeit menschlicher Verhaltensweisen durch Erziehung und Umwelt nicht notwendigerweise positive Folgen nach sich ziehen muss. Erziehbarkeit bedeutet ja auch Manipulierbarkeit. Letztlich ist dies aber eine empirische Frage, die durch wissenschaftliche Untersuchungen geklärt werden muss.