Evolutionäre Psychologie | 01.08.2009

Die revolutionären Konsequenzen der Evolutionstheorie

 

Woher aber kommt die Abwertung unserer Vorfahren, der Jäger- und Sammler, woher die entwürdigenden Darstellungen ihrer Lebensweise, die karikaturhaften Bilder des ‚Steinzeitniveaus’, der deplazierte Moralismus („Der Mensch ist schlecht …“)? Die natürlichen Eigenschaften der Menschen, so wird unterstellt, sind überwiegend negativ zu bewerten und müssen deshalb mühsam kultiviert werden. Erinnert diese Auffassung nicht auffällig an das christliche Dogma der Erbsünde? So heißt es im Augsburger Bekenntnis von 1530, einer der bis heute verbindlichen Lehrschriften der evangelischen Kirche: „Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle natürlich geborenen Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, das heißt, daß sie alle von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind […]“ (Bekenntnisschriften 1930: 53). Und im aktuellen Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: „Seit dieser ersten Sünde überschwemmt eine wahre Sündenflut die Welt […] infolge der Sünde werden die Menschen ganz allgemein verdorben“ (Ecclesia Catholica 1993: no. 401).

Prägen die religiösen Konzepte der Seele und der Erbsünde bis heute das Denken und Fühlen vieler Menschen und hindern sie daran, die Tragweite von Darwins Ideen wirklich zu akzeptieren? Ist der Kampf gegen die natürliche Erklärung des menschlichen Geistes ein Ausdruck der bleibenden Virulenz des vor-Darwinschen Weltbildes und des Schöpfungsglaubens – eine Art Seelen- und Kultur-Kreationismus?

Darwin hat dies vermutet. Schon in seinen frühen Notizbüchern bezeichnete er die natürliche Erklärung der geistigen Fähigkeiten der Menschen als den inneren Festungsring des Schöpfungsglauben: „the citadel itself.– the mind is function of body“ (Darwin 1987 [1838], N: 5). Die Widerstände gegen die evolutionäre Psychologie sind aber wohl mehr als historische Relikte. So kann man die Dichotomie von Körper und Geist bzw. die postulierte Entkoppelung der Kultur von der menschlichen Natur als Anzeichen für die Entfremdung vieler Menschen von ihren biologischen Bedürfnissen verstehen. Und die Diffamierung der menschlichen Natur als negativ konnotiertes ‚Steinzeitniveau‘ dient als probates Mittel, um die Eigeninteressen der Individuen abzuwerten.

All dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Grundannahmen und Thesen der evolutionären Psychologie ihrerseits richtig sein müssen. Darwin hat den Kritikern seiner Zeit in zweifacher Weise geantwortet. Zum einen hat er gezeigt, welchen Erklärungswert seine Theorie für eine Vielzahl biologischer Phänomene hat. Zugleich aber hat er von seinen Kritikern gefordert, eine bessere Erklärung für die jeweiligen Phänomene vorzulegen, anstatt sich in steriler Ablehnung zu ergehen. Denn man kann, wie der bedeutende Freiburger Zoologe August Weismann in Bezug auf die natürliche Auslese schrieb, „niemals schon a priori sagen […], wie weit ein Erklärungsprincip reicht, es muss erst versucht werden, und diesen Versuch gemacht zu haben, das ist mein Verbrechen oder mein Verdienst“ (1893: 63). Ein solches Experiment ist auch unser Buch Der Darwin-Code. Hier untersuchen und zeigen wir, wie weit man mit der evolutionären Erklärung gerade bei denjenigen menschlichen Verhaltensweisen kommt, deren Entstehung als rätselhaft gilt und zu deren Aufklärung die Evolutionsbiologie nach Ansicht vieler Autoren nichts beitragen kann.