Astrophysik | 18.02.2009

Kein Wunder, dass wir existieren

 

Feinabstimmung der Naturkonstanten?

Zur Diskussion des starken anthropischen Prinzips müssen wir nun noch einen Schritt weiter gehen und fragen, warum sind die Naturgesetze und die Naturkonstanten so wie sie sind und nicht anders? Fragen wir uns dazu zunächst einmal, wie viele fundamentale Naturkonstanten es überhaupt gibt. Da noch keine „Theorie für Alles“ existiert, ist auch die Definition von fundamentalen Naturkonstanten im Moment noch etwas willkürlich. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es unter den Physikern dazu unterschiedliche Meinungen gibt. In der Literatur werden häufig folgende sieben Naturkonstanten als fundamental angegeben:

Ein Argument für die Anzahl der fundamentalen Naturkonstanten kann man aus der Menge der physikalischen Einheiten ableiten. Für jede Einheit sollte es eine dazugehörige Konstante geben. Gäbe es mehr Konstanten als Einheiten, so könnte man die Einheit der überzähligen Konstanten aus den anderen zusammensetzen. Die grundlegenden Einheiten sind: Zeit (s), Länge (m), Masse (kg), elektrische Spannung (V), elektrischer Strom (A), thermodynamische Temperatur (K), Menge von Substanz (mol). Nun lassen sich aber die letzten vier Einheiten durch die ersten drei ausdrücken. Damit bleiben Zeit, Länge und Masse als grundlegende Maßeinheiten übrig. Interessanterweise sind diese drei Einheiten bereits von dem Mathematiker C.F.Gauss (1777-1855) als grundlegend identifiziert worden. Nach dem Physiker L.B.Okun sind die drei fundamentalen Naturkonstanten dann die Lichtgeschwindigkeit (c), das Plancksche Wirkungsquantum (h) und die Gravitationskonstante (G). Diese Konstanten haben nicht nur die Eigenschaft, dass sie sich nicht durch andere Konstanten irgendwie zusammensetzen lassen, sondern sie sind direkt mit einer eigenständigen physikalischen Theorie verbunden. So lässt sich mit diesen drei Konstanten das Gebäude der physikalischen Theorien in Form eines Würfels darstellen (siehe Abb. 1).

 

Abb. 1: Die drei fundamentalen Naturkonstanten und die entsprechenden physikalischen Theorien (Bronshtein-Zelmanov-Okun-Würfel)

 

Durch die im letzten Jahrhundert entwickelten modernen Theorien der Quantenmechanik, der Quantenfeldtheorie und der Relativitätstheorie sind die älteren Theorien der klassischen Physik und der Newtonschen Mechanik nicht als falsch entlarvt worden, sondern sie sind in ihrem Gültigkeitsbereich eingeschränkt worden. Und zwar gelten sie nur für makroskopische Objekte bei Geschwindigkeiten, die wesentlich kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind und nur in schwachen Gravitationsfeldern. Das trifft aber auf den größten Teil der Objekte unserer Alltagsrealität zu. Eine „Theorie für Alles“ muss dagegen die Eigenschaft besitzen, keinerlei Einschränkungen zu unterliegen.

Gelingt es, die Quantentheorie mit der Theorie der Gravitation zur Quantengravitation zu vereinigen, so könnte sich eventuell die Zahl der Naturkonstanten weiter reduzieren lassen. Diese Meinung vertritt z.B. der Physiker G.Veneziano. Mit der Stringtheorie lassen sich seiner Meinung nach das Planksche Wirkungsquantum und die Gravitationskonstante durch die Stringlänge ^s [Anm: "^" steht für den griechischen Buchstaben "Delta"] ersetzen. In der 1995 formulierten modernen M-Theorie kann diese Funktion der dreidimensionalen Membran-Länge ^3 zugesprochen werden. Die dann noch verbleibenden Einheiten sind die Zeit und die Länge. Einige Physiker wie z.B. M.J.Duff vertreten sogar die radikale Meinung, dass es überhaupt keine fundamentalen Naturkonstanten gibt. Mit einer „Theorie für Alles“ ließen sich vielleicht sogar die Werte der Naturkonstanten theoretisch ableiten und sie würden dann ihren Status als unabhängige Konstanten verlieren. 

Ein weiteres Problem ist, dass es prinzipiell möglich sein müsste, den Wert einer Naturkonstante irgendwelchen Außerirdischen mitzuteilen, um zu überprüfen, ob in ihrem Bereich des Universums die Naturkonstante den gleichen Wert hat. Bei der Lichtgeschwindigkeit (Einheit: m/s) hätten wir da große Probleme, denn die Außerirdischen könnten mit unserer Definition von Meter und Sekunde nichts anfangen. Das gleiche Problem tritt auf, wenn wir überprüfen wollen, ob eine Naturkonstante wirklich konstant ist. Bei den auf Einheiten basierenden Naturkonstanten hat man dann generell das Problem, dass man nicht unterscheiden kann, ob die Konstante oder die Einheit zeitliche Veränderungen aufweist. Das zeigt, wie problematisch die Überprüfung der Konstanz von Naturkonstanten sein kann, die auf Einheiten basieren. Sinnvoller erscheint es daher, wenn man dimensionslose Naturkonstanten auf deren zeitliche Konstanz überprüft.

Dazu bietet sich die Feinstrukturkonstante "Alpha" [Anm: der griechische Buchstabe lässt sich hier leider nicht darstellen] an. Ihr Wert liegt nahe bei 1/137. Sie ist ein Maß für die elektromagnetische Wechselwirkung. Sie ist eine der Naturkonstanten, deren Wert bis weit zurück in die Vergangenheit überprüft werden kann. Hierzu muss das Licht von entfernten Objekten wie Galaxien und Quasaren spektral untersucht werden. Allerdings gehen in die Berechnung bestimmte Annahmen über die Entwicklung des Kosmos und andere Konstanten mit ein. Erste Messungen ergaben, dass die Feinstrukturkonstante eine sehr geringe Änderung von -1,09 +/-0,36 x 10exp(-5) über die Dauer von einigen Milliarden Jahren erfahren hat. Allerdings sind die Messungen für eine endgültige Beurteilung noch viel zu unsicher und sie werden inzwischen auch angezweifelt. Berechnungen zeigen, dass eine Änderung des Wertes der Feinstrukturkonstante um nur 1% schon zu so gewaltigen Änderungen der physischen Welt führen würde, dass darin intelligentes Leben nicht mehr möglich wäre, bzw. gar nicht erst hätte entstehen können. Ähnliches gilt auch für die anderen Naturkonstanten und daraus abgeleitete Parameter. So kann man umgekehrt sogar aus dem anthropischen Prinzip Einschränkungen für die Werte der Naturkonstanten ableiten. Ein Beispiel ist der Mindestwert für die Protonenlebensdauer. Sie muss mindestens 10exp(16) Jahre betragen. Andernfalls wäre die radioaktive Strahlung der Protonen, die ein wesentlicher Bestandteil der Materie sind, so groß, dass wir nicht existieren könnten. Die Frage, ob wir jemals die Werte der Naturkonstanten wissenschaftlich erklären oder gar theoretisch berechnen können, ist im Moment nicht abschließend zu beantworten.

Wenn wir auch mit dem anthropischen Prinzip erklären können, dass wir zwangsläufig in einer Welt leben müssen, die aufgrund ihrer Naturgesetze und ihrer Naturkonstanten intelligentes Leben erlaubt, so bleibt dennoch die Frage, woher die Naturgesetze und die Naturkonstanten kommen. Muss es nicht doch jemanden geben, der sie gemacht hat und auf die Entstehung des Menschen Ziel gerichtet aufeinander abgestimmt hat? Theologen reden hier von einer wunderbaren Feinabstimmung der Naturkonstanten, die nach ihrer Meinung kein Zufall sein kann.

 Einige Physiker, wie z.B. Stephen Hawking glauben, dass es gar keine bestimmten Naturgesetze gibt, sondern dass es eine unendlich große Zahl von Welten gibt, mit unterschiedlichen, beliebigen Naturgesetzen. In gewisser Weise betrachten diese Physiker das Universum wie ein Quantengebilde, das gleichzeitig in mehreren parallelen Zuständen existiert. Jedes Universum hat eigene Naturgesetze und Naturkonstanten. Die moderne Superstringtheorie stützt diese These. Nehmen wir einmal an, es gäbe eine Vielzahl von Universen mit unterschiedlichen Naturgesetzen und Naturkonstanten, so würden nur die Universen als solche erkannt werden, die intelligentes Leben hervorgebracht haben. Ob es Universen gibt, die unbewohnt sind, ist naturwissenschaftlich nicht zu beantworten, da solche Universen naturwissenschaftlichen Beobachtungen und Messungen prinzipiell nicht zugänglich sind.

Es können also grundsätzlich nur solche Universen wahrgenommen werden, deren Naturgesetze und Naturkonstanten so angelegt sind, dass intelligentes Leben entsteht. Damit hätten die Naturgesetze und die Naturkonstanten keine bestimmte Ursache, sondern wären letztlich Folge von Zufällen. Selbst wenn es mehrere Paralleluniversen geben sollte, die von intelligenten Wesen bevölkert sind, so wäre eine gegenseitige Wahrnehmung wahrscheinlich nicht möglich. Denn diese Universen stehen womöglich nicht in kausalem Zusammenhang miteinander und mit unserem eigenen Universum. Der Begriff „parallel“ ist hier im naturwissenschaftlichen Sinn auch nicht definierbar, denn andere Universen hätten weder zeitlich noch räumlich irgendeinen Bezug zu unserem Universum. Es stellt sich damit hier die Frage, ob das starke anthropische Prinzip noch als wissenschaftliche Hypothese gewertet werden kann. Allerdings kann man nicht ausschließen, dass die modernen Theorien der Superstringtheorie oder der Schleifenquantengravitation zu überprüfbaren Aussagen führen, die dann zumindest die Existenz von Paralleluniversen plausibel machen könnten.

Von den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden die beiden mathematischen Konstanten als noch grundlegender als die Naturkonstanten angesehen, da sie unabhängig von den Naturgesetzen existieren. Selbst wenn es eine Vielzahl von Paralleluniversen gäbe mit unterschiedlichen Naturgesetzen und Naturkonstanten, so müssten wir dennoch davon ausgehen, dass die mathematischen Konstanten immer die gleichen Werte hätten. Diese Aussage ist aber nur eine Vermutung, denn es ist keine Möglichkeit abzusehen, dies zu überprüfen.

Der Physiker John Archibald Wheeler geht nun noch einen Schritt weiter und formuliert das allgemeine anthropische Prinzip folgendermaßen:

Beobachter sind notwendig, um das Universum zu erzeugen.

Diese Formulierung ist der philosophischen Position des Konstruktivismus zuzuordnen. Grundlage dieser Form des anthropischen Prinzips ist die so genannte Kopenhagener Deutung der Quantentheorie. In dieser Deutung wird die quantenmechanische Wellenfunktion durch einen bewussten Beobachter zu einer messbaren Größe reduziert. Danach spielt also der Beobachter selbst eine wesentliche Rolle in der physikalischen Beschreibung der Welt. Eine weitere sehr spekulative Form des anthropischen Prinzip ist das von Barrow und Tipler formulierte „endgültige anthropische Prinzip“ (engl. Final Anthropic Principle, abgek. FAP):

Intelligente Informationsverarbeitung muss im Universum entstehen, und, wenn sie einmal entstanden ist, wird sie niemals aussterben.

Wegen ihrer Unbeweisbarkeit wird diese Version von den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als unwissenschaftlich bezeichnet und damit abgelehnt.