Wissenschaft und Religion | 17.03.2009

Der halbierte Darwin

 

Leinfelders Vorwurf: Eine Instrumentalisierung Darwins?

Positiv zitiert wurde dieser Ausspruch u.a. im Darwin-Blog des Generaldirektors des Museums für Naturkunde Berlin, Prof. Dr. Reinhold Leinfelder. Leinfelder meinte, dass diejenigen, die die kombatibilistische Position der Vereinbarkeit von Evolutionstheorie und christlichem Glauben kritisieren, Charles Darwin instrumentalisieren würden, sofern sie sich in ihrer Kritik auf den Begründer der modernen Evolutionstheorie beziehen. Um diesen Vorwurf, den er konkret gegenüber Richard Dawkins und der Giordano Bruno Stiftung (gbs) erhob, zu belegen, verwies Leinfelder auf eine Rede, die der Schauspieler Walter Gontermann am 13.2.09 im Auftrag der gbs auf dem Festakt zu Darwins 200. Geburtstag in der Deutschen Nationalbibliothek gehalten hatte.

Diese Rede, konzipiert als „Dankesrede“ des 200jährigen Darwin, enthielt Originalzitate aus Darwins Autobiographie, überwiegend jedoch Passagen, die ich auf der Basis meiner Kenntnis des Darwinschen Werks und Lebens „frei fabuliert“ hatte. (Ohne solche freien Passagen, die Leinfelder als „Pseudodarwin“ bezeichnete, wäre eine solche Rede logischerweise gar nicht möglich gewesen! Wie auch hätte sich Darwin für einen Festakt rund 130 Jahre nach seinem Tod bedanken oder sich darüber mokieren können, dass posthum Passagen aus seiner Autobiographie gestrichen wurden?!)

Nun wäre Leinfelders Kritik an dieser Rede, die für jeden erkennbar ein Mix aus Fact und Fiction war, zweifellos dann berechtigt, wenn die „fabulierten Passagen“ im Widerspruch zu Darwins tatsächlichen Positionen gestanden hätten. Hierfür lieferte Leinfelder jedoch keinerlei Belege. Seine Kritik beruhte vielmehr auf dunklen Unterstellungen, etwa dem indirekten Vorwurf, ich habe unterschlagen, „dass Darwin zuerst eine theistische Sichtweise hatte“ (obgleich der „200jährige Darwin“ diesen Punkt bereits am Anfang der Rede mehrmals betont).

 

Agnostischer Darwin versus neo-atheistische Stiftung?

Auch dass sich Darwin, wie Leinfelder richtig anmerkte, in seiner Autobiografie als „Agnostiker“ bezeichnete (eine der wenigen glaubensrelevanten Passagen, die Gattin Emma, wohl weil sie mildernd wirkte, nicht zensierte!), steht keineswegs im Widerspruch zur kritisierten Dankesrede oder zu meinen eigenen erkenntnistheoretischen Überzeugungen, die man wohl am treffendsten als „agnostischen Naturalismus“ bezeichnen könnte. (Agnostisch ist dieser Naturalismus, weil es sich dabei nicht um ein feststehendes Dogma handelt, sondern bloß um die sinnvollste, eleganteste Hypothese, die uns momentan zur Verfügung steht!). Dass Leinfelder an dieser Stelle einen Widerspruch vermutete, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass er das Label des „neuen Atheismus“ überinterpretierte, das die Medien mittlerweile jedem Naturalisten anheften, der es wagt, religiöse Mythen zu kritisieren.

Um seine These bezüglich der vermeintlichen „Instrumentalisierung Darwins“ zu stützen, bemühte sich der Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, einen Gegensatz zu konstruieren zwischen dem „zeitlebens religiös suchenden Darwin“ und der Giordano Bruno Stiftung, die angeblich behauptet, „dass sich aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zwingend und allgemeingültig eine atheistische Weltanschauung ergäbe“. Dazu ist Dreierlei zu sagen:

Erstens vertritt die gbs, die bekanntlich nach einem Pantheisten, nicht nach einem Atheisten benannt ist, keine „atheistische“, sondern vielmehr eine humanistische und naturalistische Position. Den Begriff „Atheismus“ vermeiden wir bewusst in unserer Argumentation, da er zutiefst missverständlich ist. (Immerhin ließe sich ja sehr wohl ein Gottesbegriff konstruieren, der nicht im Widerspruch zu Naturalismus und Humanismus steht, etwa den rein metaphorischen Gottesbegriff, den Einstein einst verwendete. Es gibt aus unserer Perspektive keinen Grund, einen solchen Gottesbegriff, auf dem sich allerdings auch keine Religion begründen ließe, zu bestreiten!)

Zweitens sind wir überzeugt, dass es logisch zwingend einen Widerspruch zwischen der Evolutionstheorie und den personalen Gottesvorstellungen der traditionalen Religionen gibt, die notwendigerweise auf einem teleologischen Naturverständnis gründen. Bislang ist es noch keinem Theologen (auch nicht Teilhard de Chardin!) gelungen, die evolutionären Mechanismen mit einem solchen Naturverständnis in Einklang zu bringen. Solange es hierbei bleibt, besteht unseres Ermessens die aufklärerische Pflicht, auf die Inkompatibilität von Evolutionstheorie und religiösen Sinnmodellen hinzuweisen. Dies mag unbequem sein, entspricht jedoch den Anforderungen der intellektuellen Redlichkeit.

Drittens war nicht nur Darwin zeitlebens „auf der Suche“, die gbs ist es ebenfalls. Wer evolutionär denkt, der weiß, dass alles ständig im Wandel ist – nicht zuletzt auch unsere Erkenntnissysteme. Deshalb heißt es auch in der von Leinfelder so heftig kritisierten Dankesrede, dass der bahnbrechende Erfolg der Wissenschaften nicht zuletzt darauf beruht, dass sie „keine unantastbaren Dogmen und auch keine unfehlbaren Säulenheiligen kennen, sondern darauf ausgerichtet sind, die Aussagen selbst der bedeutendsten Wissenschaftler jederzeit in Frage zu stellen und aus ihren Fehlern zu lernen.“ In dieser Passage spiegelt sich nicht nur der kritisch-rationalistische Denkansatz der gbs wieder, der von der prinzipiellen Fehlerhaftigkeit und Verbesserungswürdigkeit menschlicher Erkenntnisse ausgeht, sondern auch Darwins eigene Position. In dessen Autobiografie findet sich nämlich eine Stelle, die wie eine Vorwegnahme des „Prinzips der kritischen Prüfung“ anmutet: „Ich habe mich immer strebend bemüht, meinen Geist frei zu halten, so dass ich jede Hypothese wieder aufgeben kann, auch wenn sie mir noch so gut gefällt (…), sobald Tatsachen auftauchen, die sie widerlegen.“ Schöner hätten es Karl Popper und Hans Albert nicht formulieren können…