Wissenschaft und Religion | 17.03.2009

Der halbierte Darwin

 

Darwin stünde heute auf der Seite von Dawkins & Co.

Wie wichtig Darwin persönlich die naturalistische Entzauberung religiöser Vorstellungen war, belegen die zeitlich letzten Einträge seiner Autobiografie (wieder von Gattin Emma zensiert und auch von Prof. Leinfelder ignoriert): „Nichts“, so resümierte Darwin, „ist bemerkenswerter als das Zunehmen der Skepsis oder des Rationalismus in meiner zweiten Lebenshälfte.“ Wie er berichtete, habe ihm sein Vater noch dazu geraten, seine Glaubenszweifel „sorgfältig geheimzuhalten“, weil solche Zweifel „zu extremen Unglück in der Ehe führen“ könnten. In seiner zweiten Lebenshälfte, konnte Darwin mit einiger Erleichterung feststellen, kenne er unter seinen wenigen Bekannten doch „einige verheiratete Damen, die kaum gläubiger sind als ihre Ehemänner“.

Wer die vollständige (also nicht zensierte!) Autobiografie Darwins sowie seine wichtigsten Werke (insbesondere die beiden oben zitierten, anthropologischen Bücher) gelesen hat, der wird, wie ich meine, kaum bestreiten können, dass Darwin heute sehr wahrscheinlich auf der Seite konsequenter „Evoluzzer“ wie Richard Dawkins bzw. den Evolutionsbiologen und Philosophen der gbs stehen würde, nicht aber auf der Seite bagatellisierender Evolutionstheoretiker wie Numbers oder Leinfelder. Von einer „Instrumentalisierung Darwins“ im Sinne der Religionskritik kann daher gar nicht die Rede sein! Umgekehrt wird viel eher ein Schuh daraus! Denn wer den „halbierten Darwin“ als ganzen verkauft und die weltanschaulichen Konsequenzen der Evolutionstheorie unter den Teppich kehrt, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich in Bezug auf Darwins Vermächtnis ähnlich unangemessen verhält wie dereinst Gattin Emma, die Darwins Memoiren zensierte, um der religiösen Verwandtschaft Kummer zu ersparen.

 

Die vergebliche Suche nach dem anti-kreationistischen Gottesbild

Gewiss: Reinhold Leinfelder unterschlug nicht, dass Darwin vor dem Hintergrund seines Wissens den Schöpfungsglauben „selbstverständlich ablegen musste“. Doch er bagatellisierte diese Erkenntnis sofort wieder, indem er hinzufügte, dass Darwins „Gottesbild extrem eingeschränkt war“. Dies soll wohl meinen, dass ein weniger eingeschränktes Gottesbild mit Darwins Erkenntnissen in Einklang gebracht werden könnte. Wie dieses Gottesbild aber konkret aussehen könnte, verriet Leinfelder leider nicht! Das von den Amtskirchen vorgegebene Gottesbild kann er damit jedenfalls unmöglich gemeint haben! Denn dieses bestreitet, wie bereits ausgeführt, nicht nur sämtliche Erkenntnisse der evolutionären Psychologie, sondern auch die grundlegenden Mechanismen der Evolution, die einer zielgerichteten Schöpfung widersprechen.

Papst Benedikt XVI. ließ wie seine Vorgänger gar keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mensch – Darwin hin oder her – ein gottgewolltes Geschöpf sei: „Dieses spezielle Gewolltsein und Gekanntsein des Menschen von Gott nennen wir seine besondere Erschaffung.“ Auch die EKD sieht immer noch in Gott den Denker und Lenker hinter der Evolution, denn wo Gott „nicht anfängt, da kann nichts sein oder werden, wo er aufhört, da kann nichts bestehen“.

Beide Großkirchen müssen daran festhalten, dass Gott in seiner Allmacht und Allwissenheit die Schöpfung von Anfang an exakt so konzipiert hat, dass wir Menschen als seine Ebenbilder notwendigerweise entstehen mussten. Dies führt freilich zu recht kuriosen Konsequenzen: Hätte Gott nämlich die Parameter der Evolution nur einen Tick anders eingestellt (beispielsweise auf den verheerenden Einschlag eines Asteroiden vor 65 Millionen Jahren verzichtet), so hätte sich sein Alter ego „Jesus“ möglicherweise nicht in Menschengestalt, sondern als Tyranosaurus Rex inkarnieren müssen! Nicht auszudenken, welcher Kult hieraus erwachsen wäre!

Spaß beiseite: Es zeigt sich, dass die vermeintliche Akzeptanz der Evolutionstheorie durch die Kirchen bei genauerer Betrachtung eine Mogelpackung ist! In Wirklichkeit akzeptieren die Kirchen nur den „halbierten“ Darwin, um auf diese Weise zumindest den letzten Restbestand ihres kreationistischen Weltverständnisses aufrechterhalten zu können.

Wie gering die Zugeständnisse der Kirchen an das wissenschaftliche Welterklärungsmodell letztlich sind, mag ein Zitat aus dem aktuellen „Weltkatechismus der katholischen Kirche“ illustrieren, welches zeigt, dass die offizielle christliche Theologie trotz aller demonstrierten Aufgeschlossenheit für naturwissenschaftliches Denken weiterhin an der prinzipiellen Faktizität der Paradieserzählung festhält (ohne die die christliche Erbsünden- und Erlösungslehre freilich auch zusammenbrechen würde): „Der Bericht vom Sündenfall verwendet eine bildhafte Sprache, beschreibt jedoch ein Urereignis, das zu Beginn der Geschichte der Menschheit [kursiv im Original!] stattgefunden hat. Die Offenbarung gibt uns die Glaubensgewissheit, dass die ganze Menschheitsgeschichte durch die Ursünde gekennzeichnet ist, die unsere Stammeseltern freiwillig begangen haben.“

Der Katechismus, der mit dem Anspruch auftritt, die für jeden Katholiken weltweit verbindlichen „Glaubenswahrheiten“ zu enthalten, verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf das oben zitierte Rundschreiben „Humani Generis“ Pius XII., das den Gläubigen nicht nur abverlangt, an eine gesonderte, a-materielle „Erschaffung der Seele“ zu glauben, sondern auch an die Existenz des einen biblischen Adam, dessen Ursünde, „durch Zeugung auf alle übertragen, einem jeden als ihm eigen innewohnt.“
Wer tatsächlich meint, dass derartige Vorstellungen mit moderner Wissenschaft kompatibel seien, der sollte dies umfassend belegen können. Ich jedenfalls halte diese Vorstellung für falsch und muss somit Jürgen Mittelstraß energisch widersprechen: Wenn der religiöse Glaube wissenschaftliche Erkenntnis so eklatant ignoriert, so vermag er das Leben der Menschen eben nicht „zu stabilisieren und zu orientieren“, er trägt vielmehr zur Destabilisierung und Desorientierung des menschlichen Lebens bei.