Religion | 02.02.2009

Gott, Gene und Gehirn: Die Evolution der Religiosität


Ist Religiosität eine evolutionäre Anpassung?

Merkmale haben entweder einen direkten evolutionären Selektionsvorteil oder nicht. Dies gilt auch für die Religiosität. In der folgenden Tabelle fasse ich die wichtigsten Hypothesen zusammen, die gegenwärtig diskutiert werden.

Noch ist unklar, welche dieser Hypothesen die größte Überzeugungskraft hat und wie sich das empirisch ermitteln lässt. Außerdem ist die Einteilung stark vereinfacht. Denn Selektionsvorteile kann man auf verschiedenen Ebenen beschreiben, die sich nicht notwendig gegenseitig ausschließen müssen; aber es ist umstritten, inwiefern höherstufige Beschreibungen die „wirklichen“ Vorgänge angemessen abbilden und nicht nur einen heuristisch-pragmatischen Wert haben. Hinzu kommt die evolutionäre Dynamik: Was einst adaptiv war, muss es nicht mehr sein – und umgekehrt. Vor allem aber: „Religiosität“ ist, wie oben ausgeführt, eher als Bündel von Merkmalen denn als ein singuläres Merkmal anzusehen. Und wenn diese Merkmale hinreichend unabhängig voneinander existieren, können manche adaptiv, andere ein Nebenprodukt und wieder andere neutral sein.

Unumstritten ist, dass die Religionen selbst und die Religionszugehörigkeit eines Menschen keine direkten Anpassungs- oder Nebenprodukte der Evolution sind, sondern kulturell vermittelt werden. Die Religionszugehörigkeit ist hauptsächlich die Folge sozialer Prägung, meistens schon ab der frühen Kindheit. (Richard Dawkins hat die extremen Formen jeglicher dogmatischer Indoktrination als geistigen Kindesmissbrauch bezeichnet.) Dass eine solche Prägung wirkt, beruht freilich auf neuronalen Rahmenbedingungen, die ein Evolutionsprodukt sein können. Und dass sich ein Kind an den Anweisungen Älterer orientiert, besonders der Eltern, ist im Hinblick auf deren Erfahrungsvorsprung im allgemeinen vorteilhaft. Insofern wäre Religiosität als eine Prägung zum Glauben an Transzendentes ein Nebenprodukt dieser neuronalen und kognitiven Basis. Doch das ist nicht alles.