Moralphilosophie | 20.05.2010

Ethik für alle

 

Warum ist die Ziel-Theorie realistisch?

Mutter und Kind (morgefile.com)Stecken Werte irgendwo im Universum, in den Naturgesetzen, außerhalb des Menschen? Nein. Das ist auch nicht nötig, damit wir ethischen Realisten am Ende recht behalten (und darum geht es hier schließlich). Carrier:

„Ebenso handelt es sich um eine realistische Theorie, da ethische Thesen reale Fakten über Menschen und das Universum beschreiben, welche durch objektive empirische Forschung entdeckt werden können. Ich akzeptiere nicht den Strohman von Simon Blackburn über einen „Realismus“ [...], der angeblich voraussetzt, dass Werte außerhalb des Menschen existieren müssten. Der objektive Realismus erfordert dies nicht.

Er setzt nur voraus, dass Werte unabhängig von menschlichen Meinungen und Ansichten existieren. Werte sind Beziehungsmuster zwischen unserer Glücklichkeit und tatsächlichen oder potenziellen Dingen, Handlungen und Konsequenzen im Universum; Muster, deren Erkenntnis wir üben müssen, genau wie wir üben müssen, um die komplexen Noten eines Musikstücks zu erkennen.“

 

Werte für alle Menschen

Es verlangt uns also danach, Werte in der Praxis zu leben. Was ist nun der höchste normative Wert, den jeder teilen sollte? Laut Aristoteles ist es das Verlangen nach Glücklichkeit. Er spricht von einem „Kardinalwert“. Damit ist wahre, anhaltende Glücklichkeit gemeint. „Erfüllung, Wohlbefinden und dauerhafte persönliche Freude“, wie der Psychologe David Myers es ausdrückt.

Der Biologiehistoriker Thomas Junker und die Evolutionsbiologin Sabine Paul kommen in ihrem Buch „Der Darwin Code“ zu dem Ergebnis, dass die Wissenschaft sehr wohl etwas über den Sinn des Lebens aussagen kann: „Im antiken Griechenland gab es die Lehre des Hedonismus, der die Lust das höchste Gut des Lebens ist. Biologisch sinnvoll ist dieses Verhalten, weil ein Individuum sich nur fortpflanzen kann, wenn es überlebt und lebenskräftig ist. Aus diesem Grund sind Organismen auch darauf programmiert, für ihr persönliches Überleben und Wohlergehen zu sorgen“ (S. 192).

Die Grundannahme des ethischen Realismus, dass Menschen von Natur aus ihr Wohlergehen (Wohlbefinden, Glück) anstreben, steht also durchaus auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament. Es wäre jedoch falsch, den ethischen Realismus einfach mit dem Hedonismus, oder seinem modernen Nachfolger, dem Utilitarismus, gleichzusetzen. Nur der Ausgangspunkt ist derselbe. Vielmehr streitet man sich darüber, wie das Wohlbefinden aller Menschen zu erreichen wäre. Ich glaube, es gibt es kein philosophisches System, das hinreichend komplex wäre, um diese Aufgabe zu meistern. Ich glaube auch, dass es so etwas gar nicht geben kann.

Das wäre aber nur ein weiterer Grund, eine Wissenschaft der Ethik zu entwickeln. Entsprechend ist Carriers Ziel-Theorie eben das – die Grundlage für eine wissenschaftliche Theorie der Ethik. Sie beruht auf soziobiologischen und psychologischen Studien und irgendwo offensichtlichen Tatsachen (es ist gut, wenn es uns gut geht), aber sie ist flexibel und widerlegbar. Vielleicht wird sie eines Tages durch eine bessere Theorie ersetzt werden. Oder man füllt die Lücken immer weiter auf. Wir Menschen sind zu blöd für Perfektion, aber wir sind klug genug, um unser Wohlbefinden mit den effektivsten Methoden anzustreben, die uns zur Verfügung stehen.