Darwins Dankesrede | 17.02.2009

„Es war eine schwierige Geburt"

 

Immerhin: Emma war glücklicherweise tolerant genug, um mir meine ketzerischen Überlegungen nicht allzu übel zu nehmen. Sie konnte sich allerdings nie dazu überwinden, ihr Bekenntnis über Bord zu werfen. Obwohl sie es eigentlich besser hätte wissen müssen, hielt sie zeitlebens an ihrem Kinderglauben fest. Logisch war diese Kombination aus Wissen und Glauben zwar nicht, aber psychologisch kann man ihr Verhalten nachvollziehen. Emma war, wie so viele andere Menschen auch, ein Opfer frühkindlicher Prägung. Ich habe über dieses Phänomen viel nachgedacht. Um zu verstehen, warum so viele Menschen wider aller Plausibilität an Gott glauben, sollten wir, wie ich einst schrieb, „die Möglichkeit nicht außer acht lassen, dass das kindliche, noch nicht voll entwickelte Gehirn stark geprägt wird, vielleicht schließlich eine ererbte Prägung davonträgt, indem Kindern ständig der Glaube an Gott eingeimpft wird, so dass es für sie ebenso schwer [ist], diesen Glauben an Gott abzuschütteln, wie für einen Affen, seine instinktive Angst vor Schlangen abzuschütteln."(13)

Verstört Sie diese Passage aus meiner Autobiographie? Emma jedenfalls war sehr verstört und sorgte dafür, dass die Stelle aus meinen Memoiren gestrichen wurde. Sie begründete dies damit, dass meine Auffassung, alle Moralität habe sich durch Evolution entwickelt, sie persönlich schmerze. Vor allem aber ging es ihr darum, zu verhindern, unsere religiösen Freunde und Verwandten durch meinen despektierlichen Vergleich von Gläubigen und Affen zu schockieren. Also griff sie liebevoll zensierend in den Text ein, um auf diese Weise, wie sie in einen Brief an unseren Sohn Francis schrieb, Admiral Sullivan, Tante Caroline und vielen anderen Kummer zu ersparen.(14) So war sie, meine Emma...

Bedauerlicherweise war dies nicht die einzige Passage, die Kummer hätte verursachen können. So hatte ich u.a. ausgeführt, dass mein Abschied vom Christentum nicht allein durch wissenschaftliche, sondern auch durch ethische Gründe bedingt war. „Ich kann nun wirklich nicht einsehen", schrieb ich, „warum sich jemand wünschen sollte, das Christentum sei wahr; wenn es nämlich wahr wäre, dann, das scheint mir die Sprache des Textes unmissverständlich zu sagen, würden alle Menschen, die nicht glauben, also mein Vater, mein Bruder und fast alle meine nächsten Freunde, ewig dafür büßen müssen. Und das ist eine verdammenswerte Doktrin."(15) Wie Sie sich vorstellen können, fiel auch diese Textstelle mit Rücksicht auf Tante Caroline der liebevollen Familienzensur zum Opfer...

Warum erzähle ich Ihnen diese Anekdoten aus meiner Familiengeschichte? Weil sie, ähnlich wie die heftigen, weltweiten Debatten um die Evolutionstheorie, zeigen, dass meine anfänglichen Befürchtungen alles andere als unbegründet waren. Die Evolutionstheorie war eben nicht nur ein faktenbasiertes wissenschaftliches Theoriegebäude, sondern zugleich ein Generalangriff auf hart umkämpfte Glaubensburgen. Es war zu erwarten, dass sich Gläubige durch die Erhellung ihrer Irrtümer in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen würden. Dennoch erstaunt mich, dass der Streit zwischen Evolutionisten und Schöpfungsgläubigen noch immer derart akut ist, obgleich im Zuge der Forschung doch so unendlich viele Fakten angehäuft wurden, die eindeutig für einen ziellosen evolutionären Prozess und gegen eine planmäßige Schöpfung sprechen. Offensichtlich ist es nur sehr schwer möglich, Menschen mit Argumenten von Überzeugungen abzubringen, zu denen sie nicht durch Argumente gefunden haben...