Presseschau | 11.07.2010

Es ist verdammt heiß

 

Kinder machen unglücklich

Praktisch alle soziologischen, ökonomischen und psychologischen Studien, die den Einfluss von Kindern auf das Glück der Eltern untersuchen, kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder unglücklich machen. Eltern sind depressiver als Nicht-Eltern, egal, was ihre persönlichen Umstände sind, ob sie verheiratet sind oder Singles. Die meisten Studien zeigen, dass Mütter am unglücklichsten sind und dass Eltern desto unglücklicher werden, je mehr Kinder sie bekommen. Was unter Psychologen und Soziologen mehr oder weniger Konsens ist, stößt regulär auf Unglauben, wenn die Erkenntnis die Universitäten verlässt: „Ich habe noch niemals jemanden getroffen, der sich nicht mit mir darüber gestritten hätte“, sagte der Psychologe Daniel Gilbert von Harvard.

Gilbert ist der Meinung, dass Eltern unter einer Wahnvorstellung leiden, wenn sie meinen, dass Kinder glücklich machen. Die gesellschaftliche Erwartungshaltung schreibt vor, dass man Kinder haben und glücklich mit ihnen sein soll, idealistisch betrachtet sind Kinder gut für das Fortbestehen der Menschheit und für die Jugendlichkeit der Gesellschaft. Eltern glauben dies einfach und werden dann enttäuscht, ohne sich öffentlich vom Kinderwahn zu distanzieren.

Das „UCLA’s Center on Everyday Lives of Families“ hat 800 Stunden mit Aufnahmen von 32 Familien aus der Mittelschicht gesammelt, in denen beide Elternteile arbeiten und die mindestens zwei Kinder haben. Der Zweck der Studie war es keineswegs, die Glücklosigkeit von Familien aufzuzeigen. Einer der beteiligten Forscher gelangte trotzdem zu der folgenden Bewertung des Videomaterials: „Das ist die reinste Form der Geburtenkontrolle, die jemals entwickelt worden ist. Jemals.“

Jennifer Senior vom New York Magazine geht davon aus, dass dies nicht immer so gewesen ist. Früher dienten Kinder als zusätzliche Arbeitskräfte auf dem Bauernhof oder später im Familienunternehmen, heute gilt die Kindheit als geschützte Zeit. Obendrein müssen Kinder aufwändig geformt und erzogen werden. Die Soziologin Viviana Zelizer von der Princeton-Universität bezeichnete das aktuelle Bild von Kindern als „ökonomisch wertlos, aber emotional unbezahlbar.“ In den USA haben verheiratete Frauen heute weniger Freizeit als 1975 (5,4 Stunden pro Woche); 71% sagen, es verlangt ihnen nach mehr Zeit für sich selbst (wie 57% der verheirateten Väter). Aber 85% aller Eltern glauben immer noch, sie würden nicht genug Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Aber woran liegt das? Kinder bekommen ist schließlich der biologische Sinn des Lebens; wie ist es da möglich, dass Kinder unglücklich machen? Die Psychologen W. Keith Campbell und Jean Twenge, die eine Metaanalyse von 97 Kinder-und-Ehe-Zufriedenheitsstudien angefertigt haben, kommen zu dem Ergebnis: „Sie werden später in ihrem Leben Eltern. Es gibt einen Verlust an Freiheit, einen Verlust an Autonomie. Es ist vollkommen anders, als direkt das Elternhaus zu verlassen, um ein Baby zu bekommen. Heute weißt du, was du aufgibst.“ Moderne Eltern warten lange, um Kinder zu bekommen und die Belohnung entspricht nicht den hohen Erwartungen. Außerdem machen sie sich viel Stress mit der Psychologie der Kindererziehung und glauben immerzu, sie würden schlechter abschneiden als andere Eltern.

Aber halt! Schon wieder sieht die Lage anders aus in den skandinavischen Ländern. Hans-Peter Kohler, ein Soziologieprofessor an der Universität von Pennsylvania, hat die Glücklichkeit von Eltern in Dänemark untersucht und festgestellt, dass Kinder die Dänen glücklicher machen als keine Kinder. Seinen Ergebnissen zufolge gibt es in Ländern mit stärkeren Wohlfahrtssystemen mehr Kinder – und glücklichere Eltern. Das ist kein Wunder, denn in Dänemark gibt es ein Jahr bezahlten Mutterschaftsurlaub, vom Staat finanzierte Krippenplätze, kostenfreie Bildung und Gesundheitsfürsorge. Das bedeutet weniger Stress für die Eltern. Ein weiteres Argument für Kinder ist der Sinn, den sie einem Leben geben können und die Freude, die man, sobald die Kinder aus dem Haus sind, in der Rückschau über seine Elternzeit hat – die dann viel rosiger aussieht, als während der Elternzeit.

Daniel Gilbert hat jedoch ein Gegenargument parat: „Wenn du innehältst und darüber nachdenkst, was Kinder für dich bedeuten, dann fühlen sie sich natürlich gut an“, sagt er. „Das Problem ist, dass du 95% der Zeit nicht darüber nachdenkst, was sie für dich bedeuten. Du denkst darüber nach, dass du sie zu den Klavierstunden bringen musst. Also musst du dir klarmachen, welche Art von Glücklichkeit du öfter konsumierst. Möchtest du diejenige maximieren, die du fast die ganze Zeit über erlebst, oder jene, die du selten hast?“

 

Fazit

Zumindest in westlich geprägten Ländern jenseits Skandinaviens ist Kinder bekommen eine Wahnidee, da Kinder unglücklich machen. Wer trotzdem welche davon haben möchte, sollte sie möglichst bald in die Welt setzen, um nicht zu früh von dem schönen Leben ohne Kinder zu erfahren, oder er muss sich darum bemühen, sich weniger um die Kinder zu kümmern, als es die gesellschaftliche Erwartungshaltung erfordert, und mehr um sich selbst und seine Ehe. Denn Kinder gefährden obendrein die Beziehung. Sollte der Staat irgendein Interesse an seiner Selbsterhaltung haben, muss er das skandinavische Fürsorgesystem nachahmen.