Interview | 29.09.2010

Allahs Schöpfung

 

Islamischer Schöpfungsmythos

 

Evo-Magazin: Wie unterscheidet sich der islamische vom christlichen Kreationismus?

Armin Geus: Der Unterschied ist theologisch begründet. Im Gegensatz zum biblischen Schöpfungsbericht ist die Erschaffung der belebten wie der unbelebten Welt kein abgeschlossenes Werk, sondern ein bis in die Gegenwart fortdauerndes Geschehen. Der unbedingte Wille Allahs erschafft die Welt und den Menschen in jedem Augenblick neu. Folglich ist auch die Embryonalentwicklung kein naturgeschichtlicher Prozess, sondern Ausdruck der schöpferischen Macht Gottes. Für gläubige Muslime gibt es also weder Phylogenie, noch Ontogenie.

 

Evo-Magazin: Wie sieht es aus mit dem Widerstand gegen Kreationismus und Fundamentalismus in der islamischen Welt?

Armin Geus: Offener Widerstand hieße an der Verbalinspiration des Koran zweifeln. Die wenigen gut ausgebildeten Biologen, die in der Forschung tätig sind und die Evolution als Tatsache akzeptieren, würden sich öffentlich nicht dazu bekennen, im Gegenteil, sie lassen sich im Ernstfall bereitwillig instrumentalisieren. Beispielsweise bestätigte der angesehene türkische Botaniker Adem Tatlie in einem ministeriell bestellten Gutachten, die Evolutionslehre sei nicht nur grundfalsch, sondern wegen ihrer Nähe zum Marxismus auch eine Gefahr für Staat und Gesellschaft.

Besonders anstößige Kapitel, wie die Selektionstheorie und die Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren, wurden daraufhin aus den Lehrbüchern gestrichen, Schöpfungsbericht und Lamarckismus sollten als Alternativen behandelt werden. Die islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan reagierte auf eine Intervention der Türkischen Akademie der Wissenschaften (TÜBITAK) gegen die kreationistischen Umtriebe Harun Yahas, des Wortführers der Bewegung, mit einer Konferenz zu den Themen Wissenschaft, Evolution und Bildung, die im Mai 2006 an der Yildiz Universität in Istanbul stattfand. Hier wurden die Teilnehmer auf die Verbreitung korankonformer Ansichten eingeschworen.